Neuer Snooker-Weltmeister Selby denkt an toten Vater
Sheffield (dpa) - Der König der kleinen Snooker-Kugeln hat seinen Meister gefunden. Mark Selby ballte erleichtert die Faust, als der entscheidende schwarze Ball in der Ecktasche verschwand und der Sieg in einem faszinierenden WM-Finale über Titelverteidiger Ronnie O'Sullivan perfekt war.
Der sonst stets coole Engländer zeigte nach einer grandiosen Aufholjagd in dem zweitägigen Endspiel in Sheffield große Emotionen und widmete den ersten Weltmeistertitel seinem toten Vater. „Er starb an Krebs, als ich 16 war - zwei Monate, bevor ich Profi geworden bin. Seine letzten Worte waren: 'Ich möchte, dass Du Weltmeister wirst'. Ich habe ihm gesagt, das werde ich eines Tages sein. Die Frage ist nur wann, nicht ob“, berichtete der 30-Jährige bei der Siegerehrung.
Dann schloss er im Crucible Theatre seine Ehefrau Vikki in die Arme und posierte mit ihr und dem altehrwürdigen WM-Pokal für die Siegerfotos. Umgerechnet 365 000 Euro Preisgeld und der Sprung auf Platz eins der Weltrangliste waren die wohl verdienten Zugaben am Ende der 17-tägigen WM.
Noch am Sonntag schien der 18:14-Erfolg über Billard-Genie O'Sullivan indes undenkbar. Wie schon 2007 bei der Finalniederlage gegen John Higgins schien der stets überaus adrett gekleidete Mann aus Leicester das Versprechen an seinen Vater nicht einlösen zu können. Selby lag 3:8 und 5:10 zurück - und das gegen den Weltmeister der vergangenen beiden Jahre und insgesamt fünfmaligen Champion. O'Sullivan hatte zuvor noch nie ein WM-Endspiel verloren.
„Ronnie beim ersten Weltmeistertitel im Finale zu schlagen ist ein Traum, der wahr geworden ist“, sagte Selby, der O'Sullivan schon in drei von sechs anderen Endspielen bezwungen hatte. Am Sonntag wirkte Selby am Tag nach dem schwer erarbeiteten 17:15-Halbfinalsieg über den australischen Ex-Weltmeister Neil Robertson jedoch müde.
Dann drehte der für seine kämpferischen Qualitäten gefürchtete Snooker-Arbeiter auf, hinterließ dem ausgeruhteren O'Sullivan immer wieder Ablagen, mit denen der Favorit aus England nichts anfangen konnte. „Er war der einzige Spieler, der nicht von Ronnie O'Sullivan beherrscht wurde“, meinte der sechsmalige Weltmeister und BBC-Experte Steve Davis. Es war wie bei vielen Tennis-Matches zwischen Roger Federer und Rafael Nadal. Nicht die spielerische Leichtigkeit gepaart mit Brillanz, sondern die zermürbende, defensive Maloche mit nur wenigen Fehlern setzte sich immer mehr durch.
O'Sullivan war sichtlich enttäuscht, erkannte aber die Leistung seines Gegners an und gratulierte ihm fair. „Ich habe mein Bestes versucht. Auf alles, was ich gemacht habe, hatte er eine Antwort. Es war schwer, einen Lauf hinzubekommen“, meinte der 38-Jährige. Nur selten hatte er die Chance, mit atemberaubender Geschwindigkeit die Bälle zu lochen und seinem Spitznamen „Die Rakete“ gerecht zu werden.
Mit zunehmender Spieldauer verzog er immer häufiger das Gesicht, rollte mit den Augen oder kaute an den Fingernägeln. „Manchmal kam ich mir ein bisschen betäubt vor, weil ich so lange auf meinem Sessel sitzen musste“, sagte er. Der Exzentriker hat immerhin einen Reifeprozess durchlaufen. „Vor einigen Jahren hätte ich in so einem Match vielleicht noch aufgegeben“, meinte O'Sullivan. Für seinen WM-Nachfolger Mark Selby gilt das schon lange.