Olympiasieger Steiner: Ernährung muss Schulfach werden
Heidelberg (dpa) - Noch vor gut einem Jahr trug Matthias Steiner den respekteinflößenden Beinamen Koloss. Das ist vorbei. Muskulös und stämmig ist der Gewichtheber-Olympiasieger immer noch. Aber von den 150 Kilo, die er einst durch die Gegend schleppte, ist er runter.
„Ich wiege jetzt 118,2 Kilo“, sagt der 1,83 Meter große Athlet, und in seiner Stimme klingt Stolz. Zehn Kilo sollen noch purzeln. Ein Superschwergewichtler ist er in der abgespeckten Version immer noch, denn die Königsklasse der Heber beginnt bei 105 Kilogramm. Eine Chance hätte er im Kreis „der Dicken“ jedoch nicht mehr. Aber das will Steiner auch nicht.
„Das Loslassen ging leichter, als ich dachte“, beschreibt der gebürtige Österreicher die Abnabelung vom Leistungssport und erklärt: „Nach der Geburt unseres zweiten Sohnes war ich nicht mehr in der Lage, zwei Dinge, nämlich Familie und Sport, perfekt zu machen.“ Wie zur eigenen Beruhigung fügt er hinzu: „Ich war der stärkste Mann der Welt. Ich habe alles erreicht.“
In der Gewichtheberhalle am Bundesstützpunkt Leimen, wo er in mehr als sieben Jahren tonnenweise Eisen in die Höhe wuchtete, findet man ihn nicht mehr. „Erst vor kurzem habe ich dort meinen Spind ausgeräumt“, berichtet der Heidelberger. „Ich wollte aber niemanden stören. Ich weiß ja selbst, wie unangenehm es ist, wenn man aus dem Rhythmus gerissen wird und die Eindringlinge kluge Sprüche ablassen.“ Wie es seinen Ex-Kollegen geht, lässt er sich aber berichten. Derzeit verfolgt Deutschlands Parade-Athlet deren Wettkämpfe bei der EM in Israel und fiebert mit ihnen.
Steiner ist häufig zu Gast in TV-Studios. Er parliert in Talkshows über sich und die Welt, läuft zu großer Form in Spielshows auf, wenn Pferdewagen gezogen und Feuerwehren geschoben werden müssen, kocht mit Promiköchen oder errät Tiere und ihre Eigenarten. „Entertainment macht Spaß“, sagt er, „aber Talkshows mache ich nur, wenn ich was zu erzählen habe.“
Ansonsten hält er Motivationsvorträge in Firmen und gibt als „Deutschlands Vorzeige-Diabetiker“, wie er sich scherzhaft nennt, Leidensgenossen Tipps, wie man trotz Handicaps Topleistungen erzielt. „Das ist schon ein Teilberuf“, bekennt er. Mit seiner Frau Inge, einer TV-Journalistin, unterhält er eine Agentur, über die ihn Interessenten buchen können.
Sport treibt der 31-Jährige nach wie vor, nur nicht mehr so exzessiv. Dabei ist Steiner aber vielseitiger geworden. Neben leichten Lasten, die er im Sportstudio bewegt, wandert er den 568 Meter hohen Königstuhl bei Heidelberg hoch und runter. „Und ich fahre viel Rad“, betont er. „So kriege ich jetzt eine ganz andere Fitness.“
Gesundheit und Wohlbefinden sind Themen, die den „Obelix aus Obersulz“, wie er in Anspielung auf seinen österreichischen Heimatort genannt wird, umtreiben. „Die Leute lechzen nach richtigem Krafttraining. Ich habe Ahnung, was im Körper vor sich geht und wie richtige Ernährung funktioniert. Und ich habe große Lust, die Leute zu motivieren.“ Seine Thematik, die er gern in ein größeres Projekt packen möchte, aber noch Partner für die Umsetzung sucht: Kindern und Erwachsenen spielerisch beibringen, sich gesund zu ernähren und zu bewegen. Essen soll Spaß machen und trotzdem gesund sein.
„Wir unterschätzen Lebensmittel total“, mahnt Steiner. „Uns ist meistens nicht klar, welche Bomben wir uns da einwerfen. Dabei bringen wir unseren Kindern Essgewohnheiten bei, die sie später nie wieder loswerden.“ Der Bambi-Preisträger wundert sich, warum Halbwertszeiten von Atomen oder Differentialrechnung in aller Ausführlichkeit in der Schule gelehrt werden, aber nicht das elementare Thema: Was soll ich essen? „Irgendwann kollabiert unsere Gesundheitssystem, dabei könnte man dem entgegenwirken. Gesunde Ernährung muss ein Schulfach werden“, fordert der Liebhaber von Wiener Schnitzel. Auf das will er auch weiterhin nicht verzichten. Steiner: „Essen ist auch Regeneration.“