100. Tour mit weniger Stars - Deutsche mit Siegchancen
Porto Vecchio (dpa) - Trotz überschaubarer Stardichte soll die Jubiläumsfeier der Tour de France pompös ausfallen und die schlechten Branchennachrichten verdrängen. So ist die Frankreich-Rundfahrt zum Start ihrer 100. Austragung in 110 Jahren zum ersten Mal auf Korsika zu Gast.
Der finale Sprint endet am 21. Juli unter Flutlicht auf den Pariser Champs Elysées. Als Topfavorit gilt allenthalben der schmale Brite Christopher Froome - bei der ersten Pressekonferenz auf der Schiffsfähre „Mega Smeralda“ im Hafen von Porto Vecchio drängten sich Hunderte Journalisten und 25 Kamerateams um den Sky-Kapitän.
In Abwesenheit des verletzten Vorjahressiegers Bradley Wiggins wird ab Samstag ein Duell zwischen dessen Landsmann Froome und dem nach seiner Dopingsperre nach Frankreich zurückgekehrten Alberto Contador erwartet. Der Spanier glaubt nicht an den propagierten Zweikampf. „Wir haben noch mehr Darsteller in diesem Film“, sagte der zweimalige Toursieger. „Ich bin superfit und habe eine sehr starke Mannschaft um mich herum - ich bin heiß darauf, dass es endlich losgeht“, sagte Froome. Sein Teamchef Dave Brailsford sieht Froome als Idealbesetzung „für den Kurs in diesem Jahr“.
Nicht nur Froomes wenig geliebter Teamkollege Wiggins fehlt bei der Jubiläumsausgabe. Der überlegene Giro-Gewinner Vincenzo Nibali verzichtet auf die Kraftprobe in Frankreich, genau wie der Schweizer Weltranglisten-Spitzenreiter Fabian Cancellara. Andy Schleck, dem das Gelbe Trikot 2010 nach dem Dopingfall Contador am Grünen Tisch zugesprochen worden war, ist im Moment nur noch ein Schatten vergangener, starker Tage. Trotzdem ist der Luxemburger im Voigt- und Klöden-Rennstall RadioShack-Leopard nomineller Kapitän.
Ein Teil der zehn deutschen Tourstarter will zumindest bei der Vergabe der Etappensiege ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Der in dieser Saison in seiner Spezialdisziplin siebenmal erfolgreiche Tony Martin fährt in den beiden Einzelzeitfahren auf Sieg. Sollte seine belgische Mannschaft - immerhin Weltmeister in dieser Disziplin - das Teamzeitfahren der vierten Etappe in Nizza gewinnen, hätte Martin laut Betreuer Rolf Aldag sogar „berechtigte Ambitionen auf Gelb“.
Ansonsten gilt für den „Sport- und Entwicklungs-Manager“ im Team Omega-Quickstep: Bis zur 13. Etappe müssen alle Ziele erreicht sein, das hieße zumindest Etappensiege für Mark Cavendish und Martin, am besten mit Gelb veredelt. Danach dürfte es das Team - abgesehen vom Finale auf den Champs Elysées - laut Aldag langsamer angehen lassen, weil die Topographie den Fahrern nicht gerade entgegen komme.
Martin hat neben dem Sieg im Teamzeitfahren besonders den Tagessieg beim ersten Einzelzeitfahren am 10. Juli in Mont Saint Michel im Visier. „Wenn ich auf den ersten drei Etappen auf Korsika nicht zu viel Zeit verliere, könnte es im Teamzeitfahren für mich um Gelb gehen“, sagte der 28-jährige Wahlschweizer am Donnerstag.
Tageserfolge auf den Flachetappen sind für André Greipel, 2012 dreimal siegreich, Marcel Kittel und den Tour-Debütanten John Degenkolb erste Profipflicht. Die Chancen auf Gelb für einen deutschen Fahrer an den ersten Tourtagen war selten so groß. Der 41-jährige Jens Voigt hat seinen Platz in der Tour-Historie mit seinem 16. Start - Dritter in der Ewigen-Bestenliste hinter George Hincapie und Stuart O'Grady - bereits sicher.
Der Name des einen Tag jüngeren Lance Armstrong ist dagegen nicht nur aus den Siegerlisten von 1999 bis 2005 verschwunden. Ähnliche Lücken in die Annalen rissen nur die beiden Weltkriege, in denen keine Tour stattfand. Der ehemals gefeierte Seriensieger aus Texas, der im Januar Doping gestand, soll möglichst auch aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen werden.
„Das war gestern, wir haben jetzt eine neue Generation von Fahrern“, sagte der 24-jährige Kittel, der begrüßt, dass nach vier Jahren wieder die als kompromisslos bekannte französische Anti-Doping-Agentur AFLD in Kooperation mit dem umstrittenen Weltverband UCI für die Doping-Kontrollen zuständig ist.
Die Strecke der Jubiläumstour über 3479 Kilometer auf 21 Etappen ist spektakulär. Die klassischen Anstiege auf den Mont Ventoux und nach L'Alpe d'Huez - zum ersten Mal an einem Tag zweimal zu bewältigen - stehen ebenso im Programm der gigantischen Radsport-Show wie ein Einzelzeitfahren nach Mont Saint Michel im Atlantik. Die letzte Etappe führt von Versailles nach Paris, wo die Tour auf den Champs Elysées zum ersten Mal in den Abendstunden zu Ende gehen wird.