Armstrong kapituliert und gesteht - Viel Enttäuschung

Austin (dpa) - Der längst als Doper entlarvte Lance Armstrong hat endlich sein peinliches Leugnen aufgegeben, für sein spätes TV-Geständnis aber Enttäuschung und neues Misstrauen geerntet.

„Ja, ja, ja, ja, ja“ - praktisch ohne Chance auf Ausreden gab der Amerikaner bei Star-Talkerin Oprah Winfrey Doping zu. Jahrelang, mit EPO, Testosteron, Kortison, Wachstumshormonen und Blutdoping hatte sich der einstige Vorzeigeathlet zu sieben Erfolgen bei der Tour de France gemogelt. Doping sei in seinen Rennställen zwischen 1999 und 2005 die reine Selbstverständlichkeit gewesen, „wie Reifen aufpumpen oder Wasser in die Flaschen füllen“.

Mehr als in dem umfangreichen Bericht der US-Anti-Doping-Agentur USADA im Vorjahr aufgeführt, gab Armstrong freilich nicht preis. „Zu wenig, zu spät, Lance!“, urteilte die „New York Daily News“. Als „Tyrann“ und „arroganten Sack“ bezeichnete sich der auf Gewinnen um jeden Preis gepolte Athlet selbst. In die Defensive gedrängt, gab sich der einst unangefochtene Boss im Fahrerfeld auf dem Ledersessel bei Winfrey kleinlaut: „Ich sitze heute hier, um Sorry zu sagen.“

Während Armstrong vor den Kameras am frühen Freitagmorgen deutscher Zeit nicht mehr so unbezwingbar wie früher wirkte, durften sich zwei Branchengrößen als mutmaßliche Sieger fühlen. Bei seiner TV-Beichte vor einem Millionenpublikum nahm der Texaner nämlich den Weltverband UCI gegen Korruptionsvorwürfe in Schutz und ließ die höchst umstrittene Verbands-Spitze mit Pat McQuaid und Hein Verbruggen gut dastehen. Der dreiste Betrüger lobte gar die aktuelle Anti-Doping-Politik der notorisch verseuchten Sportart.

Ex-Profi Rolf Aldag sprach in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa von einer „hochgeschaukelten Erwartungshaltung zu möglicherweise bevorstehenden Aussagen zur Rolle der UCI“. „Wenn es Unregelmäßigkeiten gab, Lance sie aber nicht beweisen kann, wird er sich hüten, Anschuldigungen zu erheben“, sagte der frühere Telekom-Profi, der 2007 ebenfalls ein TV-Geständnis abgelegt hatte.

Armstrong stritt ab, dass ein positiver EPO-Test während der Tour de Suisse 2001 vom Dachverband verschleiert wurde. Teamkollegen hatten ausgesagt, der enge Verbruggen-Freund habe im Gegenzug der UCI 125 000 Dollar gespendet. „Die Geschichte ist nicht wahr“, betonte Armstrong. „Es gab keine positive Probe, keine Bestechung des Labors, kein geheimes Meeting mit dem UCI-Chef“, sagte er. „Manche Dinge waren vielleicht dubios, aber das hier nicht.“ Verbruggen teilte prompt mit: „Ich bin froh, dass sich die Verschwörungstheorien nach den jahrelangen Vorwürfen gegen mich als haltlos erwiesen haben.“

Weltweit löste der TV-Auftritt eher Enttäuschung aus. „Er hat keine Namen genannt, hat nicht verraten, wer ihn (mit Dopingmitteln) versorgt hatte, welche Funktionäre involviert waren“, bemängelte der Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, John Fahey. „Falls er auf Erlösung aus war, war er nicht erfolgreich“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Für die USADA, die Armstrong mit ihrem mehr als 1000 Seiten starken Bericht samt 26 Zeugenaussagen praktisch keine Chance mehr zur erneuten Flucht ließ, war das Geständnis immerhin „ein kleiner Schritt in die richtige Richtung“.

„Das ist ein sehr trauriger Tag für den Sport, aber er hat auch eine positive Seite, wenn diese Ausführungen dazu führen können, einen Schlussstrich unter die alten Praktiken zu ziehen“, hieß es in einem Statement des Internationalen Olympischen Komitees. „Wir erwarten von Armstrong, jetzt alle Beweise den Anti-Doping-Gremien vorzulegen, so dass wir diese dunkle Episode hinter uns bringen können und vorankommen - stärker und sauberer“, erklärte das IOC.

„Wenn er den Radsport so liebt, wie er sagt, und wenn es ihm darum geht, seine Glaubwürdigkeit wieder herzustellen, dann muss er bereit sein, gegenüber der WADA oder der USADA unter Eid auszusagen“, forderte auch IOC-Vizepräsident Thomas Bach. „Viel heiße Luft“ hatte der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) in Armstrongs Äußerung erkannt.

Tour-de-France-Chef Christian Prudhomme waren Armstrongs Aussagen nicht genug. „Um diese Art von Affären zu vermeiden, müssen wir jetzt mehr wissen, um das System zerlegen zu können, über das die USADA in ihrem vernichtenden Report berichtet“, sagte Prudhomme.

Das „Time Magazine“ fragte sich nach der Motivation für Armstrongs Auftritt. „Es ist schwer, das Herz eines Mannes zu lesen, der so herzlos gewesen ist“, schrieb das Blatt am Freitag. Bei der Ausstrahlung des ersten Teils des Gesprächs gab der Texaner Doping von Mitte der 90er Jahre bis 2005 zu. In seinen Comeback-Jahren 2009 und 2010 sei er aber „clean“ gefahren.

Lange hatte der hartgesottene Radsport-Cowboy auf Verdächtigungen mit Klagen geantwortet - nun wirkte er ganz brav und gefasst. „Die ganze Schuld trifft mich“, behauptete er. „Ich habe die Doping-Kultur des Radsports nicht erfunden, aber auch nicht versucht, sie zu beenden. Der Sport zahlt jetzt den Preis dafür. Das tut mir leid.“

Er entschuldigte sich bei seiner ehemaligen Physiotherapeutin Emma O'Reilly, die er verklagt und übel beschimpft hatte. Die Irin gehörte zu den 26 Zeugen, die vor der USADA gegen Armstrong ausgesagt hatten. „Sie gehört zu denen, bei denen ich mich entschuldigen muss. Ich habe sie niedergewalzt.“ Unerwähnt blieben Fahrer wie Christophe Bassons und Filippo Simeoni, deren Profi-Karrieren Armstrong durch Mobbing zerstörte, oder der dreifache Tour-Sieger Greg LeMond, der durch die Auseinandersetzungen mit Armstrong wirtschaftlich ruiniert wurde. „Armstrong hat im Radsport jeden zerstört, der erfolgreich war“, klagte LeMond nach der Sendung bei „cyclingnews.com“.

„Ich sehe in den Mienen der Menschen den Zorn über den Verrat, den ich an ihnen begangen habe. Ich werde den Rest des Lebens mit dem Versuch zubringen, Vertrauen zurückzugewinnen und mich bei den Leuten zu entschuldigen“, sagte der fünffache Familienvater, dem das IOC auch Olympia-Bronze vom Zeitfahren 2000 in Sydney aberkannt hatte.

Sein generalsstabsmäßig geplantes Geständnis komme „zu spät“, erkannte er selbst. Die ganze Erfolgsgeschichte sei „eine große Lüge“ gewesen, meinte Armstrong, der am Montag in seinem Heimatort Austin interviewt worden war. Ohne Doping seien sieben Tour-Siege gar nicht möglich gewesen. „Es gibt sicher Leute, die sagen: Es gab 200 Fahrer bei der Tour und fünf haben nicht gedopt, und diese fünf sind die Helden - und sie haben recht“, bekannte Armstrong.