Doping-Schock um Schleck überschattet Pyrenäen-Show
Pau (dpa) - Der Doping-Schock um Fränk Schleck hat bei der 99. Tour de France sogar das wohl rennentscheidende Pyrenäen-Spektakel in den Hintergrund gedrängt, bei dem Lokalmatador Voeckler sportlich für Feierstimmung sorgte.
Vor dem Start ins Hochgebirge, in dem Spitzenreiter Bradley Wiggins die Angriffe des Italieners Vincenzo Nibali auf der ersten schweren Bergetappe parieren konnte, gab es bei tropischen Temperaturen vor dem noblen Palais Beaumont von Pau nur ein Gesprächsthema: Schlecks positiver Testbefund auf ein zur möglichen Verschleierung von Doping-Mitteln dienendes Diuretikum.
Mannschaftskollege Jens Voigt war geschockt, Ex-Teamchef Brian Nygaard sprach vom „schlimmsten Szenario“. Der Radprofi aus Luxemburg, der seine Unschuld beteuert, war zu dem Zeitpunkt mit seiner Frau und Tochter schon im Auto Richtung Heimat unterwegs.
Er verpasste damit auch die erste schwere Bergprüfung in den Pyrenäen, die der französische Radheld Thomas Voeckler souverän für sich entschied. Nach 197 Kilometern setzte sich der Europcar-Fahrer als Solist durch und feierte seinen zweiten Etappensieg 2012. „Ich bin heute vier Rennen gefahren“, sagte der überglückliche Gewinner in Anspielung auf die vier schweren wie legendären Anstiege auf den Aubisque, Tourmalet, Aspin und Peyresourde. Auf den zwei Gipfeln der höchsten und den zwei der ersten Kategorie war Voeckler stets vorn und eroberte dadurch auch das Trikot des besten Bergfahrers.
Im Kampf um die Gesamtwertung kamen die drei Erstplatzierten Wiggins, Christopher Froome und Nibali zeitgleich ins Ziel. Der Italiener hatte die beiden Briten im Finish nicht abhängen können. Ein Fiasko erlebte dagegen Titelverteidiger Cadel Evans, der fast fünf Minuten auf das Spitzentrio verlor und in der Gesamtwertung vom vierten auf den siebten Platz rutschte und die Tour damit verlor.
Auf die Top Ten der Gesamtwertung hatte auch der Vorjahresdritte Fränk Schleck noch geschielt, ehe das abrupte Aus folgte. „Dass er nicht mehr am Start ist, war eine weise Entscheidung und die einzig denkbare“, sagte Rundfahrt-Chef Christian Prudhomme.
Schleck reagierte reflexartig. „Ich streite ab, irgendeine verbotene Substanz genommen zu haben. Ich kann mir das Resultat nicht erklären und bestehe auf Öffnung der B-Probe“, erklärte der eine Zweijahressperre riskierende Schleck in einer Stellungnahme. Bruder Andy sprang ihm bei. „Bei meinem Leben und bei meiner Familie, bin ich sicher, dass er nichts genommen hat“, sagte der Tour-Sieger 2010 der Zeitung „Le Parisien“.
„Das ist so ziemlich das schlimmste Szenario, was entstehen konnte. Ich glaube ihm. Aber eine gewisse Skepsis bleibt - das hat mich der Radsport gelehrt“, meinte Brian Nygaard. Der Däne war 2011 Teamchef des Luxemburgers und ist eng mit Schleck befreundet.
Jens Voigt hatte sich am Mittag als erster RadioShack-Fahrer aus dem dicht belagerten Mannschaftsbus getraut und stand in drei Sprachen Rede und Antwort. „Man kann jetzt nicht so tun, als sei nichts passiert. Das ist kein leichter Moment für mich, aber Fränk ist mein Freund und bleibt mein Freund“, sagte der 40-jährige. „Wir müssen jetzt versuchen, mit sechs Fahrern noch bis Paris zu kommen.“ Auf der 16. Etappe wurde Voigt starker Sechster. „Das hatte heute viel mit Frustbewältigung zu tun“, erklärte der Berliner.
Der Radsport-Weltverband UCI, der Schleck offensichtlich gezielt für eine Probe am 14. Juli in Cap d'Agde ausgesucht hatte, hatte den Fahrer und die Öffentlichkeit am Dienstag von „Unregelmäßigkeiten in einer Kontrolle“ unterrichtet. Dabei benutzte der Verband nahezu exakt die selben Formulierungen in der Erklärung wie vor Jahresfrist beim Fall Alexander Kolobnew. Der Russe war ebenfalls mit Diuretika aufgefallen, nach seinem Tour-Rückzug aber freigesprochen worden.
Schleck war am Abend von der Polizei in Pau verhört worden. Er hätte dort freiwillig ausgesagt, teilte sein Team mit. Offenbar wollte er einer Festnahme durch die Polizei entgehen, wie Teamchef Alain Gallopin erzählte. Das Präparat Xipamid steht nicht auf der Dopingliste, kann aber zur Doping-Verschleierung eingesetzt werden.
Für den Luxemburger ist dies nicht der erste Dopingverdacht: 2008 musste er nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zugeben, dem spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes Geld überwiesen zu haben. „Der damalige Fall und der jetzige haben nichts miteinander zu tun. Für seine Kontakte zu Fuentes wurde er nicht bestraft“, erklärte sein Ex-Teamchef Bjarne Riis, der 2007 selbst Doping gestanden hatte. Der Däne sei durch den Schleck-Befund „geschockt gewesen“.
Der Luxemburger Profi kündigte juristische Schritte an. „Sollte die B-Probe das erste Analyse-Ergebnis bestätigen, werde ich eine Klage gegen Unbekannt einreichen wegen Vergiftung“, sagte Schleck. Die zweite Probe soll am Sonntag geöffnet werden. „Wir werden uns mit Chemikern und eventuell Dopingexperten zusammensetzen, weil wir selbst nicht genau wissen, um was für ein Mittel es sich handelt“, sagte Andy Schleck dem Radiosender DNR.
Der Fall Fränk Schleck ist der vorläufige traurige Tiefpunkt der Pech-und-Pannen-Geschichte des vermeintlichen Superteams RadioShack, das in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten zu sein scheint: Teammanager Johan Bruyneel etwa verzichtete wegen der Verstrickung in die Dopingaffäre Armstrong auf die Frankreich-Reise, Andy Schleck fehlt verletzt. Eigentlich fehlte nur noch ein Dopingfall.