Dopingskandal kostet Armstrong alle Tour-Titel
Genf (dpa) - Die einmalige Tour-Ära Lance Armstrong wird aus den Radsport-Geschichtsbüchern gelöscht. Knapp zwei Wochen nach dem verheerenden Bericht der US-Anti-Doping-Agentur USADA stempelte auch der Radsport-Weltverband UCI den Amerikaner endgültig als Doper ab.
Die UCI entzog ihm nachträglich seine sieben Gesamtsiege bei der Frankreich-Rundfahrt. „Lance Armstrong hat keinen Platz im Radsport“, unterstrich Verbandsboss Pat McQuaid in Genf. „So etwas darf nie wieder passieren.“ Personelle Konsequenzen schloss der umstrittene Ire aus. Was mit Armstrongs Titeln der Tour-de-France-Jahre 1999 bis 2005 passiere, will die UCI erst am Freitag entscheiden.
„Heute ist ein historischer Tag für den sauberen Sport“, sagte USADA-Chef Travis Tygart in einer ersten Reaktion. „Die UCI hat die richtige Entscheidung gefällt.“ Der Kampf gegen Manipulation sei aber noch nicht gewonnen, meinte er und ermutigte den Radsport, weiter gegen „die vielen Doping-Ärzte und korrupten Teamchefs“ vorzugehen.
Mehr als 1000 Seiten Beweismaterial hatte Tygarts Behörde am 10. Oktober präsentiert, darunter die Aussagen elf ehemaliger Teamkollegen Armstrongs als Kronzeugen: Letztlich hatte die UCI keine andere Wahl, als die lebenslange Sperre der US-Anti-Doping-Jäger gegen den Texaner und die Aberkennung aller Erfolge von 1998 an zu bestätigen. „Was ich im USADA-Bericht gelesen habe, macht mich krank“, sagte McQuaid.
Über eine mögliche Rückzahlungsforderung von Armstrongs Siegprämien soll ebenfalls auf der UCI-Sondersitzung am Freitag beraten werden. „Das Reglement der UCI ist deutlich: Wenn einem Fahrer der Platz aberkannt wird, der Geld einbringt, muss er (das Preisgeld) zurückzahlen“, sagte Tour-Chef Christian Prudhomme in Paris, der am Mittwoch die Streckenführung der 100. Tour verkünden wird. Nach Berechnungen der Sportzeitung „L'Équipe“ hatte Armstrong bei seinen Tour-Triumphen insgesamt knapp drei Millionen Euro Preisgeld gewonnen.
Am Freitag soll auch geklärt werden, ob die Zweitplatzierten der betroffenen Rundfahrten nachträglich zu Tour-Siegern ernannt werden. Armstrong hatte den gebürtigen Rostocker Jan Ullrich dreimal (2000, 2001, 2003) und Andreas Klöden aus Mittweida 2004 direkt hinter sich gelassen. Dass sich das deutsche Duo Hoffnungen auf das Gelbe Trikot machen kann, gilt als unwahrscheinlich. Prudhomme wiederholte erneut seinen Wunsch, die Titel in dem „verlorenen Jahrzehnt“ nicht neu zu vergeben. „Diese Epoche muss gekennzeichnet sein durch das Fehlen von Siegern“, sagte er.
Nicht nur der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, forderte Armstrong zu einem Geständnis auf. „Spätestens jetzt, nach der eindeutigen Entscheidung der UCI, wäre es für Lance Armstrong an der Zeit, sich umfassend zu äußern. Dies wäre sowohl für ihn selbst als auch für seinen Sport hilfreich“, meinte Bach. Über die Bronzemedaille Armstrongs bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney wolle das IOC nach der UCI-Sitzung befinden. Armstrong selbst äußerte sich zunächst nicht zu dem Urteil.
Kritik für die Rolle in der Causa Armstrong erntete auch die UCI: Nach Ansicht von Jean Regenwetter, dem Präsidenten des Luxemburger Radverbandes und zuletzt schärfsten Verbandskritiker, wird sich in der UCI trotz McQuaids deutlicher Worte wenig ändern. Am Freitag säßen „genau dieselben Leute zusammen, die dafür gesorgt haben, dass die Glaubwürdigkeit des Radsports in Zweifel gezogen wurde“, sagte Regenwetter der Nachrichtenagentur dpa.
Bei der Pressekonferenz im Saal „St. Moritz“ des Genfer Flughafen-Hotels Starling wurde aus der Verkündung des Strafmaßes gegen Armstrong schnell eine Rechtfertigungs-Veranstaltung der UCI. Vor Dutzenden Kamerateams, Fotografen und mehr als 100 Reportern schloss McQuaid einen Rücktritt aus. „Natürlich kann man in der Rückschau immer sagen, man hätte mehr tun können“, sagte er.
Die USADA hatte in ihrem Bericht angedeutet, Armstrong habe einen positiven Dopingtest einst mit Hilfe der Verbandsspitze verschleiert. Den Vorwurf wies McQuaid zurück und nahm auch seine umstrittenen Vorgänger und jetzigen Ehrenpräsidenten Hein Verbruggen in Schutz. „Es ist eine Schande, dass er im Sport aktiv ist. Ich wäre absolut angewidert, wenn er eine Zukunft hätte“, wetterte der Ex-Doper und inzwischen vehemente Anti-Doping-Kämpfer David Millar bei „Sky Sport“. Regenwetter betonte ebenfalls: „McQuaid und Verbruggen müssen weg.“ Der Luxemburger will seinen Unmut über die UCI und Änderungsvorschläge in Kürze in einem offenen Brief an die europäischen Verbände kundtun.
Dass die Anti-Doping-Maßnahmen im Radsport lange ungenügend waren, räumte McQuaid ein. „Es tut mir leid, dass wir nicht jeden verdammten Sünder erwischen konnten“, sagte er. 218 Mal sei Armstrong auf Doping getestet worden - ohne positiven Befund. Dass der Radsport irgendwann komplett vom Doping befreit werde, glaubt McQuaid nicht.
Der gefallene Rad-Held Armstrong habe es verdient, vergessen zu werden, sagte McQuaid. Nicht alle sind dieser Meinung. „Dem stimme ich nicht zu“, twitterte Sprinter Marcel Kittel. „Er soll für immer als Beispiel für den falschen Weg im Gedächtnis bleiben.“
Armstrong war von der USADA jahrelanges und systematisches Doping nachgewiesen worden. Wie Zeugen unter Eid berichteten, habe Armstrong EPO-, Testosteron-, Kortison- und Blutdoping betrieben. Zudem habe er Mannschaftskollegen zum Doping gezwungen und eingeschüchtert, als diese sich von ihm abgewandt hatten. Der Beschuldigte stritt die Vorwürfe ab. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) begrüßte die UCI-Entscheidung. „Entscheidend ist, dass ein "verseuchtes Jahrzehnt" aufgearbeitet und endlich abgeschlossen wird“, sagte BDR-Präsident Rudolf Scharping.
Armstrong war wegen der massiven Anschuldigungen zuletzt bereits von seinen wichtigsten Sponsoren - darunter Nike und am Montag auch dem Brillenhersteller Oakley - fallengelassen worden. Außerdem trat der 41-Jährige als Vorsitzender seiner Krebsstiftung Livestrong zurück. Der „Weltrekord-Doper“ (New York Daily News) steht vor dem Ruin.