„Gorilla“ Greipel schreit seine Freude heraus: Zweiter Etappensieg
Rouen (dpa) - André Greipel machte seinem Spitznamen „Gorilla“ alle Ehre: Der 29-jährige Rostocker brüllte seine Freude über den ersten diesjährigen Etappensieg bei der Tour de France lauthals heraus.
Nach 214,5 Kilometern führte in Rouen kein Weg an dem Kraftpaket vorbei. Der Lotto-Belisol-Fahrer distanzierte nach perfekter Vorarbeit seiner Teamkollegen den italienischen Altmeister Alessandro Petacchi und den Niederländer Tom Veelers. Sein Erzrivale Mark Cavendish, der Greipel am Montag noch bezwungen hatte, war 2700 Meter vor dem Ziel in einen Massensturz verwickelt und konnte in die Entscheidung nicht eingreifen. Er verletzte sich an Armen und Beinen.
„Das ist sehr emotional für mich. Ein Etappensieg - dafür waren wir hier und wir haben es dank perfekter Teamarbeit geschafft“, freute sich Greipel, der im Vorjahr in Carmaux seinen ersten Tageserfolg bei der Tour de France verbucht hatte. Den Sturz seines Rivalen Cavendish in seinem Rücken hatte er nicht mitbekommen. „Stürze gehören in diesem Sport leider dazu. Das ist nicht schön. Aber wir haben den Sieg heute gegen Goss, Petacchi und Sagan verdient“, sagte ein sichtlich erleichterter Greipel. „Ich hatte keinen Druck, ich hatte heute ein Supergefühl und ein starkes Team.“
Das klang bei Anfahrer Marcel Sieberg etwas anders. „Natürlich fällt uns allen ein Stein vom Herzen. Auch bei André war die Erleichterung zu spüren“, meinte der Routinier. Er führte seinen Kapitän zum 14. und sicherlich schönsten Saisonsieg 2012.
Für Cavendish endete die zweite reine Sprinteretappe dagegen in einer Fast-Katastrophe. Beim Massensturz wurde er heftig in Mitleidenschaft gezogen, sogar sein Helm zersprang, sein Weltmeistertrikot war völlig zerrissen. „Ich hoffe, Cavendish ist okay und wir können uns noch einmal direkt messen“, sagte Greipel. Der Schweizer Zeitfahr-Olympiasieger Fabian Cancellara verteidigte das Gelbe Trikot und liegt weiter sieben Sekunden vor dem Briten Bradley Wiggins.
Für die heftig angeschlagenen Tony Martin und Marcel Kittel war selbst die flache und eher weniger anspruchsvolle Etappe erneut ein schmerzhafter Trip. Martin war am Mittwoch erstmals mit einer neuen Schiene am Start, die ihm nach Konsultation mit einem französischen Spezialisten angefertigt wurde. Die Kunststoffmanschette sollte das gebrochene Kahnbein mehr fixieren als bislang.
„Der dritte Tag nach einer solchen Verletzung - also der Dienstag - ist in der Regel von den Schmerzen her der schlimmste“, sagte Teamarzt Helge Riepenhof. Martin berichtete im Ziel: „Heute ging es etwas besser, ich hatte einen stabileren Griff.“
Nach den Wünschen von Martin hatten die Mechaniker den linken Bremshebel am Lenker versetzt, um das Bremsen und Schalten zu erleichtern. Das Zeitfahren am Montag in Besancon - Martins nächstes Tour-Ziel - soll als Testlauf für den Kampf gegen die Uhr bei Olympia dienen. „Er muss beim Zeitfahren sehen, wie er mit seiner Behinderung zurechtkommt“, sagte Teamsprecher Alessandro Tegner. Für keinen wäre es eine Überraschung, wenn der Wahlschweizer die Tour nach dem Zeitfahren verlassen würde, um sich auf das Zeitfahren bei Olympia ohne den täglichen Rundfahrt-Stress vorzubereiten.
An vordere Ergebnisse oder gar die Chance auf einen Tagessieg ist für Kittel noch nicht zu denken. Der Thüringer leidet nach wie vor an den Folgen einer Magen-Darm-Erkrankung, die ihn bei der härtesten Rundfahrt der Welt schon in der ersten Woche erheblich schwächt. „Wir sind noch gar nicht in den Bergen und ich fühle mich schon wie nach zwei schweren Pyrenäen-Etappe“, erzählte der enttäuschte Sprinter. Nach dem Zieldurchlauf, 4:58 Minuten hinter Greipel, gab er leichte Entwarnung: „Es geht langsam bergauf“.