Sagan: Tourminator, Engel, Messi, Forrest Gump
Abbeville (dpa) - Seine Rennmaschine hat er eigens für die Tour de France umlackieren lassen, auf dem Rahmen prangt in giftigem Grün „Tourminator“. An Selbstvertrauen mangelt es Peter Sagan nicht, Bescheidenheit ist dem Radsport-Shootingstar aus der Slowakei fremd.
Beim Etappensieg in Boulogne-sur-Mer hatte er auf der Ziellinie sogar Zeit für Faxen: Während sich die Konkurrenz im Hintergrund die letzten Meter des Anstiegs hoch quälte, schwenkte er mit den Armen wie die Filmfigur Forrest Gump. „Zu dem haben sie gesagt: Lauf! Und er ist gelaufen. Meine Teamkollegen meinten neulich: Gewinn! Und ich habe gewonnen“, erklärte der smarte Youngster nach seinem Coup.
Im Peloton der 99. Tour geraten derzeit viele ins Schwärmen über den Liquigas-Profi und zweifachen Etappensieger im schwersten Rennen der Welt. „Es ist, wie wenn man Messi beim Fußballspielen zusieht“, meinte Dave Brailsford, Teamchef der Sky-Mannschaft und damit von Sprinterkönig Mark Cavendish und Tour-Favorit Bradley Wiggins. „Am besten man tritt einen Schritt zurück, staunt, lächelt und sagt: "Gut gemacht". Das ist alles ziemlich phänomenal.“
Der 22-jährige Tour-Debütant mit dem Babyspeck im Gesicht und der erstaunlichen Explosivität in den Beinen konnte die Erwartungen mehr als erfüllen. Bei der Generalprobe zur Frankreich-Rundfahrt, der Tour de Suisse, gewann Sagan im Juni vier Etappen und stach dabei selbst den Lokalmatadoren Fabian Cancellara im Prolog aus.
Der Zeitfahr-Olympiasieger gehörte dann auf der 1. Tour-Etappe als Zweitplatzierter wieder zu den Leidtragenden der Sagan-Show, und auch in Boulogne-sur-Mer hatte das Schweizer Muskelpaket das Nachsehen. „Er hatte noch Kraft zum Beschleunigen - ich weiß nicht, wie er das macht“, meine Cancellara reichlich verwundert.
„Die Show des Engels“, titelte die „L'Équipe“ und verwies damit auf ein Amulett, das der Ex-Mountainbike-Europameister in seiner Trikottasche immer mitführt. Bei Fans und Journalisten ist der Sunnyboy, der als erster in den 90er Jahren geborene Radprofi eine Tour-Etappe gewann, gefragt. Am Start der 4. Etappe in Abbeville belagerten Dutzende Reporter den Liquigas-Teambus, vor dem Sagans schwarz-grünes Rennrad mit dem markanten Schriftzug und dem Terminator-Konterfei unterhalb des Lenkers geparkt war.
Bereitwillig gab der Slowake kurz vor dem Start noch Interviews, entweder in sympathisch holprigem Englisch oder auf Italienisch. Nach zweieinhalb Jahren bei Liquigas beherrscht er die Teamsprache sehr gut und sorgt für reichlich Stimmung in der Mannschaft um Ivan Basso. Von einer „speziellen Atmosphäre“ berichtete der Routinier und Kapitän bei Twitter. „Dank der wundervollen Verrücktheit von Sagan und Co. entdecke ich einen jüngeren Ivan in mir.“
Sagans Stern war im Vorjahr bei der Vuelta aufgegangen, als er drei Etappen für sich entschieden hatte. Die Siegesserie setzte sich 2012 quasi nahtlos fort, bei Tirreno-Adriatico düpierte er sogar seinen alles andere als begeisterten Kapitän Vincenzo Nibali. Sagan sieht sich für höhere Aufgaben bereit. „Ich will in diesem Jahr das Grüne Trikot des besten Sprinters gewinnen“, verkündete er bereits forsch. Zuzutrauen ist ihm mittlerweile sogar das.