Nach Froomes Tour-Aus: Profi-Schelte für Veranstalter
Reims (dpa) - Chris Froome hat die Tour abgehakt und saß im Flugzeug auf dem Heimweg. Die Konkurrenten waren gleichzeitig mit der Aufarbeitung der dramatischen fünften Etappe über die verschlammten Kopfsteinpflaster-Passagen noch längst nicht fertig.
„Das Rennen war ein Chaos. Eine solche Strecke hat in der Tour nichts zu suchen“, schimpfte Fabian Cancellara, der Paris-Roubaix auf ähnlichem Terrain immerhin dreimal gewann und eigentlich als Liebhaber solcher speziellen Herausforderungen gelten sollte. Auch Mitfavorit Tejay van Garderen (USA) zählte die Veranstalter an: „Jetzt habt ihr Kerle euer Drama. Aber das Rennen hat eine Delle bekommen, weil der Titelverteidiger auf diese Weise raus ist.“
Der verzweifelte Froome kartete nicht nach, er war mit seinem Schicksal beschäftigt. „Ich bin am Boden zerstört - ich weiß noch nicht, wann ich zurück bin“, twitterte der Vorjahressieger, der sich nach insgesamt drei Stürzen an zwei Tagen den Schmerzen beugen musste und 66,8 Kilometer vor dem Ziel auf wackligen Beinen in den Teamwagen stieg. Das Unternehmen Toursieg Nummer zwei, oder aus Teamsicht: Toursieg Nummer drei, ist zu den Akten gelegt. Für den gestrauchelten Froome machte die Sky-Mannschaft Richie Porte zum Kapitän. Aber kaum jemand traut dem Australier zu, den Toursiegern Bradley Wiggins (2012) und Froome (2013) auf das oberste Treppchen in Paris zu folgen.
Froomes Sturz am Dienstag auf dem Weg nach Lille, der zunächst von der Teamleitung als „nicht gravierend“ heruntergespielt worden war, gab wahrscheinlich den Ausschlag für die Aufgabe am Mittwoch. Die beiden Stürze noch vor Beginn des ersten Kopfsteinpflaster-Sektors Richtung Arenberg gaben dem zierlichen Briten den Rest. Sein Vorgänger Wiggins, der trotz Superform nicht für die Tour aufgeboten worden war, ließ über einen Sprecher erklären: „Das war ein harter Tag. Keiner will sehen, dass ein solcher Champion wie Froome zu Boden geht“. Klingt nicht nach großer Emotion - seit der Tour 2012 sind sich die beiden Alphatiere im Sky-Team nicht gerade freundschaftlich zugeneigt.
Omega-Quickstep-Teamarzt Helge Riepenhof, der 2012 mit einer Blessur von Tony Martin ähnliche Erfahrungen machte, vermutet bei Froome einen Handbruch. „Bei einer solchen Verletzung geht natürlich Kopfsteinpflaster gar nicht. Hätte es vor zwei Jahren bei dem Kahnbeinbruch von Tony eine solche Etappe gegeben, hätte er nicht weiterfahren können“, sagte Riepenhof am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa. Mit dem großen Ziel Olympia vor Augen hatte sich Zeitfahr-Weltmeister Martin noch tagelang durch die Tour gequält - trotz der gravierenden Verletzung.
Den gewissen Zynismus der Veranstalter, eine solche Etappe trotz aller Kritik auf alle Fälle wie konzipiert durchzuziehen, belegt die Wortmeldung des allgewaltigen Tour-Direktors Christian Prudhomme im improvisierten Pressezentrum in einer stillgelegten Kohlemine in Wallers: „Das Kopfsteinpflaster gehört zu Nordfrankreich und damit zur Tour. Ein Toursieger muss auch eine solche Herausforderung meistern können. Wir werden es wieder tun.“ Soll heißen: Nicht die Protagonisten sind der Star, sondern es ist die Tour.
Er verwies auf das kommende Jahr und das sollte für Froome wohl ein bisschen nach Trost klingen: „Wir dürfen uns 2015 auf ein großes Duell zwischen Froome und Nairo Quintana freuen“. Sogar den schweren Dauerregen, der die Etappe noch unwägbarer machte, mochte Prudhomme: „Darauf warten wir bei Paris-Roubaix im April jetzt seit über zehn Jahren“.
Ganz im Fahrwasser von Prudhomme war Altmeister Eddy Merckx. Der fünfmaliger Toursieger aus Belgien sprach von einem „atemberaubenden Tag“ und sagte weiter: „Ich hätte eine solche Etappe zu meiner Tourzeit geliebt“. Der zweimalige Tour-Champion Alberto Contador, jetzt neben dem Träger des Gelben Trikots nach der fünften Etappe, Vincenzo Nibali, der große Zampano, fasste den extravaganten Ausflug auf die Feldwege aus Napoleons Zeiten kurz und treffend zusammen: „Fürs Fernsehen eine große Show, für uns zu großes Risiko“.