Und jetzt auch noch Regen? Wenn Tadej Pogacar am Sonntag sein Debüt bei der Kopfsteinpflaster-Tortur Paris-Roubaix gibt, könnte der Ausnahmekönner Bekanntschaft mit allen Grausamkeiten der Hölle des Nordens machen. Laut den letzten Vorhersagen in Frankreich wird am Sonntag pünktlich zur 122. Auflage des Radrennens ein Wetterumschwung mit Regen und Wind erwartet, was die staubigen Pisten in einen rutschigen Parcours verwandeln würde.
„Es ist Neuland für mich, aber ich bin bereit für die Herausforderung. Ich denke, es ist der richtige Zeitpunkt. Mit dieser Form, die ich gerade habe, sollte ich es versuchen“, sagte der Weltmeister, der erst am vergangenen Sonntag bei der Flandern-Rundfahrt einen weiteren beeindruckenden Triumph einfuhr.
Rekorde im Training
Pogacar meint es ernst mit seinen Ambitionen bei der Königin aller Klassiker. Erst kürzlich hat er auf einer 213 Kilometer langen Trainingsfahrt fast alle der 30 Kopfsteinflaster-Sektoren - die sogenannten Pavés - gemeistert und nebenbei mehrere Rekorde auf den einzelnen Abschnitten aufgestellt. Typisch Pogacar halt. Von den fünf Monumenten des Radsports, also den bedeutendsten Eintagesrennen der Welt, fehlt dem slowenischen Radstar in seiner beträchtlichen Trophäensammlung noch der Sieg in Roubaix - genauso wie Mailand-Sanremo, wo er bislang zweimal Dritter wurde.
„Ich möchte einfach all die Erfahrungen sammeln und das Beste aus dem Radsport herausholen, damit ich im Ruhestand nichts bereuen muss“, beschreibt Pogacar seinen nicht enden wollenden Hunger nach Erfolg. Siege bei den großen Rundfahrten wie der Tour de France und dem Giro d'Italia reichen dem 26-Jährigen schon lange nicht mehr.
Mit 66 Kilogramm über die Pavés
Mutig oder verrückt? Als Leichtgewicht will es der gerade einmal 66 Kilogramm schwere Pogacar mit den robusten Klassiker-Stars Mathieu van der Poel (Niederlande), Mads Pedersen (Dänemark) oder Wout van Aert (Belgien) auf den Pavés aus den Zeiten Napoleons aufnehmen. Und das womöglich im Regen. „Das wäre dann nicht mehr die gleiche Geschichte“, sagt Pogacars Teamchef Mauro Gianetti, der vergeblich versucht hatte, seinen Kapitän von dem Vorhaben abzuhalten.
„Ein schwerer Sturz könnte die Tour de France oder die ganze Saison gefährden“, warnt Gianetti vor Gefahren wie dem berüchtigten Wald von Arenberg, wo sich einst Klassiker-König Johan Museeuw die Kniescheibe brach. Bedenken, die Pogacar beiseite wischt: „Das scheint mir nicht gefährlicher zu sein als eine Sprintankunft auf den ersten Etappen der Tour de France.“ Die bislang letzte Regen-Ausgabe des Rennens mit chaotischen Verhältnissen gewann 2021 der Italiener Sonny Colbrelli.
Starke Vorstellung bei der Tour 2022
Ein bisschen Erfahrung auf den französischen Feldwegen hat Pogacar bereits gesammelt. 2015 und 2016 nahm er am Junioren-Rennen teil, kam aber nicht unter die besten Zehn. Bei der Kopfsteinpflaster-Etappe der Tour de France 2022 wusste Pogacar aber als Siebter durchaus zu überzeugen, während im Visma-Team um seinen Rivalen Jonas Vingegaard Chaos herrschte.
Doch das Eintagesrennen ist ungleich schwerer. 55,3 der 259,2 Kilometer führen über die ruckeligen Steine, die fast so groß wie Findlinge sind. Anstiege, an denen Kletterkönig Pogacar für den Unterschied sorgen könnte, gibt es nicht. Helfen soll ihm Teamkollege Nils Politt, der Kölner mit dem großen Motor, der in Roubaix bereits Zweiter (2019) und Vierter (2024) wurde.
Pogacar ist jedenfalls der erste Radprofi seit dem Amerikaner Greg LeMond 1991, der als Tour-de-France-Champion das Abenteuer bei Paris-Roubaix in Angriff nimmt. Der letzte amtierende Sieger der Frankreich-Rundfahrt, der anschließend auch auf der Betonpiste in Roubaix jubeln durfte, war übrigens Eddy Merckx 1973. Sphären, in denen sich Pogacar längst bewegt.
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