Sprinter Cavendish: Durchwachsene Giro-Bilanz

Montecatini Terme (dpa) - Es sollte eine Triumphfahrt mit vielen Etappensiegen werden. Aber der 95. Giro entpuppt sich für Rad-Weltmeister Cavendish als harte Tour mit Stürzen und einem mysteriösen Manipulationsverdacht.

Beim Giro endlich wieder auf dem Podium: Cavendish genoss sichtlich die zärtlichen Zuwendungen der Hostessen, als er nach der 11. Etappe im Heilbad Montecatini Terme das Rote Trikot für den besten Sprinter überstreifen durfte. Das war wie Balsam für den verletzten Stolz des Weltmeisters. Sechs Etappensiege hatte der Brite bei der Italien-Rundfahrt für sich reserviert. Bislang kamen nur zwei zustande, obwohl sein Team Sky bei insgesamt fünf Etappen weitgehend das Feld kontrolliert hatte.

Nach einer optimalen Olympia-Vorbereitung sieht dieser Giro d'Italia für Großbritanniens Gold-Hoffnung bisher nicht unbedingt aus. Sie ist eher eine ganz harte Tour mit Stürzen - zum Glück für ihn ohne größere Blessuren - und dem Verdacht, sich auf der sehr hügeligen 6. Etappe irgendwie in die Karenzzeit geschlichen zu haben.

Bei zwei Sprintankünften hatten stürzende Konkurrenten Cavendish auf den letzten Metern aus dem Sattel geholt. Bei einer fünften Gelegenheit musste er am Mittwoch frustriert zusehen, wie in Roberto Ferrari ausgerechnet jener Mann zu seinem ersten Tagessieg kam, der ihn im Finish der 3. Etappe in Dänemerk mit weiteren Fahrern zu Fall gebracht hatte. Weltmeister Cavendish giftete damals: „Der sollte sich schämen. Er hat das Regenbogentrikot, das Rosa und das Rote Trikot abgeschossen.“

Am Mittwoch in Montecatini warf er - nach angespanntem Blickduell im Finale - Ferrari nur noch hinterher: „Er kann froh sein, dass er überhaupt noch im Rennen ist.“ Ihn selbst, so spekulierte er, hätte die Jury bei ähnlichem Verhalten längst nach Hause geschickt. Nach Meinung anderer Beobachter hätte der Brite freilich schon längst dorthin gehört. Bei der Hitzeschlacht nach Porto Sant'Elpidio in der vorigen Woche kam er 39 Sekunden vor dem Ablauf der erlaubten Fahrzeit ins Ziel und schrammte knapp am Ausscheiden vorbei.

Verdacht hatte erregt, dass seine Fahrer-Gruppe 15 Kilometer vor Schluss noch viel weiter in der Zeittabelle zurückgelegen hatte. Nach Überschlagsrechnungen italienischer Journalisten hätte die Gruppe auf den letzten 15 Kilometern eine Geschwindigkeit von etwa 53 Stundenkilometern erreichen müssen. Ohne Hilfsmittel wäre dies kaum möglich. Pikant war zudem, dass just zu dieser Zeit die TV-Direktübertragung per Hubschrauber abgebrochen wurde. Ursache dafür war angeblich ein Mangel an Flugbenzin.

Cavendish hatte bisher in Italien also viel weniger Gelegenheit als geplant für die gut geübte und von den TV-Kameras gern eingefangene Show mit Küsschen für Töchterchen Delilah Grace und Freundin Peta Todd - ein früheres Oben-Ohne-Modell britischer Boulevardblätter. Die 13. Etappe am Freitag und die 18. am nächsten Donnerstag bieten immerhin noch zwei Gelegenheiten für Sprintsiege. Ob Cavendish bis nächste Woche durchhält, ist angesichts des beinharten Programms bis London sehr fraglich. Vor Olympia will er bei der Tour de France noch sein Grünes Trikot verteidigen.