Tour-Pechvogel Evans: Mit neuem Mut zum Angriff
Cap Fréhel (dpa) - Pechvogel, Bruchpilot, Ewiger Zweiter: Die Attribute, die dem Radprofi Cadel Evans einst zugeschrieben wurden, charakterisieren nicht unbedingt einen Siegfahrer. Inzwischen ist der 34-jährige Australier aber wohl aus den Schatten seiner Vergangenheit getreten.
Bei der diesjährigen Tour de France tritt der zurückhaltende Wahl-Schweizer, den die „L'Équipe“ als „Clown mit dem traurigen Gesicht“ beschrieb, fast schon souverän auf. Vor allem aber nicht mehr so zögerlich und unentschlossen wie früher.
„Ich weiß nicht, wie oft ich bei Tour-Etappen Zweiter oder Dritter war. Diesen Frust brauche ich nicht mehr“, sagte Evans nach seinem ersten „echten“ Tagessieg auf der Mur-de Bretagne im Foto-Finish gegen keinen Geringeren als Tour-Favorit Alberto Contador. Sein erster Etappenerfolg war ihm 2007 nach dem Dopingfall um Alexander Winokurow am Grünen Tisch zugesprochen worden. Sein großes Ziel formuliert der Weltmeister von 2009 ohne Umschweife: „Ich weiß, dass ich die Tour gewinnen kann, und dass auch Contador zu schlagen ist.“
An sechs Tagen trug Evans bisher das Gelbe Trikot, im vergangenen Jahr verlor er es nach einem Ellenbogenbruch. Vor vier Jahren trennten ihn in Paris auf dem zweiten Platz nur 23 Sekunden vom Sieger Contador. 2008 war er hinter Carlos Sastre ebenfalls Zweiter. Noch nie in der 108-jährigen Geschichte der Tour hat ein Australier das wichtigste Radrennen der Welt gewonnen.
Seinen Coup auf der 4. Etappe wertete Evans als „gutes Zeichen für mich“. Mit seinem US-Team BMC hatte er den Fokus noch deutlicher auf die Tour gelegt und im Gegensatz zu den Vorjahren den Giro d'Italia ausgelassen. „Ich fühle mich frischer - ich hatte ein besseres Vorbereitungsprogramm als zuletzt“, sagte der Team-Kapitän von Marcus Burghardt. Im Frühjahr hatte Evans die Tour de Romandie und Tirreno-Adriatico gewonnen und dabei Selbstvertrauen getankt.
Der Weg des zweifachen Mountainbike-Weltcup-Siegers in die Elite der Straßen-Profis war steinig. Nachdem Evans 2002 überraschend beim Giro kurz ins Rosa Trikot gefahren war, hatte er 2003 seinen Ruf als Bruchpilot weg: Bei Stürzen brach er sich in einer Saison dreimal das Schlüsselbein. Mit dem Argument, Evans' Fahrstil bedeute ein gewisses Sicherheitsrisiko, nahm ihn der damalige Telekom-Sportchef Walter Godefroot 2004 und 2005 nicht mit zur Tour. Stattdessen fuhr der Australier die Sachsen-Tour.
„Mein größter Wunsch vor der Tour war: Bitte diesmal kein Pech“, erklärte Evans. Bisher scheint er erhört worden zu sein - kurz vor der Mur-de-Bretagne hatte der Australier vor einem gestürzten Begleitmotorrad gerade noch rechtzeitig abbremsen können.