Vierer beim Olympia-Test - „Geld gewinnt doch Medaillen“
London (dpa) - Der deutsche Rekord muss schon fallen. Wenn der wiedererstarkte deutsche Vierer beim zu erwartenden Spektakel von Superstar Bradley Wiggins und Co. nicht nur eine Statistenrolle einnehmen will.
Bei den am Mittwoch beginnenden Bahnrad-Weltmeisterschaften in London ist eine weitere Steigerung Pflicht. „Wir wollen uns zeitmäßig verbessern, das wäre die Ideallösung. Der deutsche Rekord müsste dabei rauskommen“, sagte Bundestrainer Sven Meyer der Deutschen Presse-Agentur.
Illusionen gibt sich der junge Chefcoach aber nicht hin. „Geld gewinnt doch Medaillen. Im Vergleich zu Großbritannien sind wir nach wie vor sehr weit entfernt. Bei den Briten ist viel mehr Geld im System“, erklärt der 30-Jährige, der von einem Podestplatz nicht träumen mag. Zwischen Platz drei und acht sei alles extrem eng in der internationalen Spitze. Daher sei gerade im Hinblick auf die Olympischen Spiele die Zeit viel wichtiger als etwa ein vierter Platz wie bei der WM 2015.
Der deutsche Vierer ist in Rio wieder am Start. Was früher angesichts von fünf Olympiasiegen und 16 Weltmeistertiteln eine Selbstverständlichkeit war, ist inzwischen für das jahrzehntelange Aushängeschild des deutschen Radsports ein Erfolg. Nach dem zweiten Platz bei der WM 2002 verschwand der Vierer in der Versenkung. Teaminterne Streitereien gingen mit dem sportlichen Abwärtstrend einher. 2008 und 2012 schaffte Deutschland erst gar nicht die Olympia-Teilnahme. Viele Bundestrainer (Bernd Dittert, Uwe Freese, Andreas Petermann, Michael Max/interimsmäßig) versuchten sich meist erfolglos am Projekt.
Seit 2011 steht Meyer in der Verantwortung, und allmählich geht es unter dem Sauerländer aufwärts. Der Sportwissenschaftler hat seit seinem Amtsantritt veraltete Strukturen aufgebrochen. „Wir haben am Trainingssystem geschraubt. Was wir heute trainieren, hat in vielen Bereichen wenig damit zu tun, wie es früher war. Ganz wichtig waren die strukturellen Umstellungen“, sagt Meyer und spricht das rad-net-Rose-Team an. In dem vom Bund Deutscher Radfahrer auf den Weg gebrachten Continental-Team haben viele Bahnradfahrer inzwischen eine sportliche Heimat gefunden.
Erste Ergebnisse können sich sehen lassen. Im vergangenen Jahr verbesserte der Vierer bei der WM in 3:57,116 Minuten den deutschen Rekord, den Robert Bartko, Daniel Becke, Guido Fulst und Jens Lehmann nach ihrer Goldfahrt in Sydney 2000 fast 15 Jahre gehalten hatten. In den Weltcups wurden regelmäßig Punkte gesammelt, so dass schon vor der WM das Olympia-Ziel Rio erreicht wurde. „Da können wir befreiter fahren, als wenn wir die Pistole auf der Brust hätten. Die letzten Jahre hatten wir immer maximalen Druck“, berichtet Meyer.
In London sollen Domenic Weinstein (Bad Dürrheim), der auch Bartko in der Einerverfolgung als deutschen Rekordhalter abgelöst hat, und Kersten Thiele (Sinsheim) den Vierer anführen. Dazu kommen Nils Schomber (Grevenbroich), Theo Reinhardt (Berlin) und Leif Lampater (Rosenheim) für die weiteren zwei Plätze infrage.
Dass sie die Briten ärgern können, ist kaum zu erwarten. Meyer traut Wiggins und seinen Kollegen spätestens in Rio eine Weltrekord-Zeit um 3:50 Minuten zu. Ein wenig neidisch schaut er auf die fast schon paradiesischen Zustände auf der Insel. „Für jede Stelle, die wir haben, gibt es bei denen drei, vier, fünf Stellen. Was Mechaniker, Trainer und die Wissenschaft angeht, haben die viel mehr Background.“ Und als Chefcoach fungiert ein Deutscher: Heiko Salzwedel. Bei dem Erfolgstrainer war Meyer einst selbst in die Lehre gegangen.