Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin über Karriereziele und sauberen Sport

Radprofi Tony Martin kämpft für einen sauberen Sport. Umso ärgerlicher war für ihn das Urteil im Astana-Prozess. Das Doping verseuchte Team erhielt für das kommende Jahr eine ProTour-Lizenz und darf bei allen großen Rundfahrten starten. „Sicherlich wird aber hinter jedem Erfolg eines Astana-Profis ein fettes Fragezeichen stehen“, sagt der dreimalige Zeitfahr-Weltmeister. In unserem Interview sprach Martin auch über sportliche Ziele und die Vorbereitung auf die neue Saison.

Radprofi Tony Martin mit Damen.

Foto: Jean-Christophe Bott

Herr Martin, fühlen Sie sich angepieselt?

Tony Martin: Warum?


Das kasachische Team Astana erhielt die ProTour-Lizenz trotz fünf bekannt gewordener Dopingfälle. Daraufhin sagte der ehemalige Profi Jörg Jaksche, dass Sie, John Degenkolb und Marcel Kittel — also Fahrer die für einen sauberen Sport stehen — sich etwas angepieselt fühlen müssten.

Martin: In gewisser Weise stimmt das. Wir kämpfen für einen sauberen Radsport. Wenn nun ein mutmaßlich Doping verseuchtes Team die ProTour-Lizenz erhält, ist dies für uns ein Schlag ins Gesicht. Über die Gründe kann man nur mutmaßen, gerecht ist das Urteil nicht. Man kann es nicht nachvollziehen. Es gibt Rätsel auf.


Also bleibt Ihnen nur, dieses Urteil kopfschüttelnd zu akzeptieren?


Martin: Ich habe keine Mittel und Wege, und muss das Urteil in dieser Form leider akzeptieren. Im Grunde sind wir Fahrer machtlos. Allerdings hoffe ich, dass nun alle Augen und Ohren auf dieses Team gerichtet sind und dass die Mannschaft doppelt und dreifach kontrolliert wird. Sicherlich wird aber hinter jedem Erfolg eines Astana-Profis ein fettes Fragezeichen stehen.


Viele Fahrer aus dem Team Astana sind Ihre Gegner im Rennen. Denken Sie dann nicht auch: Diese Leistung kann nicht mit rechten Dingen zugehen?


Martin:
Bei gewissen Fahrern ist es zum Automatismus geworden, deren Leistung zu hinterfragen. Aber da muss ich auch Kritik an mir selbst üben: Das ist nicht immer fair und angebracht. So lange die Schuld an einem Fahrer nicht erwiesen ist, gilt er als unschuldig. Ich denke, das sollte beim Sport weiter so üblich sein. Wir versuchen ja selbst gegen diesen Generalverdacht zu kämpfen. Wir sollten deshalb den Kontrollmethoden in unserem Sport vertrauen.


Derzeit befinden Sie sich in Spanien und bereiten sich dort auf die Saison vor. Was steht da alles auf der Tagesordnung?


Martin: Es ist eine gewohnte Situation, wie in jedem Jahr vor der Saison: Wir besprechen die Rennprogramme, fahren etliche Trainingskilometer und lernen die neuen Fahrer kennen. Außerdem testen wir neues Material.


Und sie fliehen vor dem Winter.

Martin: Den Winter in Deutschland, oder Mitteleuropa bekomme ich nur punktuell mit.


Aber über Weihnachten kommen Sie nach Hause, oder?

Martin: Weihnachten ist mir heilig. Da werde ich bei meinen Eltern in der Nähe von Frankfurt sein und zusammen mit meiner Freundin ein paar ruhige Tage feiern.


Dann dürfen Sie auch mal die Beine hochlegen.

Martin:
Man trainiert viel im Vorfeld, damit man über die Feiertage etwas kürzer treten kann. Nach Weihnachten und Silvester greife ich dann wieder voll an. Das ist eine körperliche und mentale Ruhephase.


Fällt es Ihnen schwer, während dieser Zeit auf süße Dinge zu verzichten?


Martin:
Wirklich schwer fallen tut es mir nicht. Ich muss mich nicht geißeln und übertreibe es nicht. Auch da gilt es ein gutes Mittelmaß zu finden: Essen ist zwar schön, aber das muss wieder abtrainiert werden.


Sie sind der beste Zeitfahrer der Welt: Wie können Sie sich jedes Jahr wieder aufs Neue motivieren?

Martin:
Jeder Wettkampf ist eine Herausforderung. In diesem Jahr habe ich leider das WM-Trikot verloren. Deshalb ist der Ansporn umso größer, dieses Trikot in der kommenden Saison wieder zurückzuholen. Die Goldmedaille bei Olympia fehlt mir auch noch. Es gibt also noch ein paar Lücken zu schließen. Deshalb gibt es definitiv keine Motivationsprobleme.


Wird es nicht langweilig, immer um Hundertstelsekunden zu kämpfen?

Martin: Das könnte man jetzt viele andere Sportler auch fragen, weil sie ebenfalls um Hundertstelsekunden kämpfen. Das ist part of the game und macht es umso spannender, als wenn man immer mit einer Minute und mehr gewinnen würde. Dieser Kampf um die letzten Hundertstelsekunden ist mein Anreiz immer 100 oder 110 Prozent zu geben. Das ist meine Motivation.


Und wie zufrieden sind Sie mit der Vorbereitung momentan?

Martin: Seit rund vier Wochen befinde ich mich im Training. Die Form ist ganz gut. Wir haben langsam die Umfänge und Intensität gesteigert. Viele Experimente im Vergleich zu den vergangenen Jahren gibt es nicht mehr. Die Erfahrung habe ich und ich weiß deshalb wie ich mich zu den ersten Höhenpunkten vorbereiten muss. Da wird nicht mehr großartig gezaubert.


Wohin geht dann Ihre Entwicklung als Radrennfahrer?

Martin: Beim Zeitfahren gibt es keine große Entwicklung mehr. Da ist es wichtig, aus den Fehlern der vergangenen Rennen zu lernen, auch hinsichtlich der Vorbereitung. Dann hoffe ich, dass ich mein hohes Niveau in den kommenden Jahren beibehalten und noch um einige Goldmedaillen kämpfen kann.


Und bei Rundfahrten?

Martin:
Bei kleineren Rundfahrten habe ich große Ambitionen. Bei der Tour de Suisse oder Paris — Nizza habe ich bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass ich vorne mitfahren kann. Allerdings sollte dies auf einem stabileren Niveau als in der Vergangenheit sein.


Haben Sie dann Ihren Traum, einmal auf Gesamtsieg bei der Tour de France zu fahren, aufgegeben?


Martin:
Nein, aufgegeben habe ich diesen nicht. Aber ich setze das Ganze nicht in den Mittelpunkt. Die Tour de France wird kein Schwerpunkt in den nächsten zwei bis drei Jahren sein. Allerdings bin ich erst 29 Jahre alt und habe noch ein paar Jahre als Profi vor mir. Was in sechs oder acht Jahren sein wird, kann ich momentan nicht sagen. Aktuell habe ich andere Schwerpunkte.