Rasender Held aus der Banlieue
Frankreichs Kylian Mbappé (19) wird nach seiner Gala gegen Argentinien mit dem jungen Pelé verglichen.
Kasan. Er trug noch das blaue Trikot, die weiße Hose, aber das Schuhwerk hatte er schnell gewechselt: In Badelatschen kletterte Kylian Mbappé am Samstagabend aufs Podium, um als „Man of the Match“ drei schnelle Fragen zu beantworten, für die sich der junge Franzose doch ein bisschen mehr Zeit nahm als bei seinen sagenhaften Spurts in einem der besten Achtelfinals der WM-Geschichte.
Was ihm das bedeute, mit einem Doppelschlag beim 4:3-Spektakel gegen Argentinien für Aufsehen zu sorgen wie der große Pelé bei der WM 1958? Mbappé, zarte 19 Jahre jung, überlegte kurz. Der Vergleich schmeichele ihm, ganz gewiss, aber: „Pelé ist eine andere Kategorie.“ Es gehört zum modernen Kommunikationszeitalter, dass der besagte Weltstar aus Brasilien alsbald übermittelte: „Gratuliere @KMbappe“, schrieb der 77 Jahre alte Pelé — oder seine beratende Agentur — über Twitter: „Zwei Tore so jung bei einer WM, damit bist du in bester Gesellschaft! Viel Glück bei Deinen weiteren Spielen. Außer gegen Brasilien!“
Frankreich und Brasilien könnten sich tatsächlich morgen in einer Woche im Halbfinale in St. Petersburg begegnen, und zumindest für das Viertelfinale gegen Uruguay am kommenden Freitag in Nischni Nowgorod sind die Franzosen definitiv leichter Favorit. Luis Suarez oder Edinson Cavani hin und her, sagt sich die Grande Nation: Wir haben Kylian Mbappé.
Keiner schüttelte Abwehrspieler leichter ab als dieser Bewegungskünstler, der sich geschmeidig wie eine Gazelle bewegt, aber beinahe robust wie ein Büffel durchsetzt. Sonst hätte es nicht schon früh einen von Antoine Griezmann verwandelten Elfmeter (13.) gegeben, den Frankreichs Nummer zehn nach einem der vielen traumhaften Zuspiele von Paul Pogba herausholte. Nachdem Benjamin Pavard mit dem 2:2 den imaginären Schönheitspreis gewann (57.), blieb es letztlich Mbappé vorbehalten, beim 3:2 (64.) und 4:2 (68.) seine Klasse in punkto Behauptungswille, Ballannahme und Abschluss zu demonstrieren. Alles in einer fließender Bewegung übrigens.
Eine wahre Explosion, die auch Didier Deschamps kurz die Contenance vergessen ließ. Am Tag zuvor hatte der um die Bodenhaftung seiner Jungstars fürchtende Fußballlehrer gewarnt, dass Mbappé sich keinesfalls auf eine Stufe mit Lionel Messi stellen dürfe. Nun ging es bereits um die Frage, ob die Fußball-Nation Frankreich im Jahr 1998 nicht doppelt beschenkt wurde: Mit dem am 12. Juli empfangenen Weltmeister-Pokal im Stade de France und der Geburt von Kylian Mbappé am 20. Dezember im 19. Pariser Arrondissement. „1998 war ein gutes Jahr für Mbappé, um geboren zu werden, auch wenn er nicht viel von der WM gesehen hatte“, scherzte Deschamps. Auch Mbappé konterte die Konstruktion lächelnd: „Die Menschen erinnern sich eher an den WM-Gewinn als an meine Geburt.“
Viel wichtiger dürfte ihm gewesen sein, dass Vater Wilfried und Mutter Fayza Augenzeuge seiner Gala wurden. Dass sich der in einem der berüchtigten Banlieues aufgewachsene Fußballer in Russland auf einem guten Wege befindet, diesen Fakt konnte der neue Held nicht mehr negieren: „Eine WM ist meine Chance zu zeigen, was ich kann. Es gibt keinen besseren Platz.“
Dabei bildet sein größter Trumpf ein fast übermenschlich anmutendes Tempo, über das im Nachgang unterschiedliche Angaben in Umlauf gerieten. Während der Matchreport der Fifa ihm ein Topspeed von 32,4 km/h bescheinigte, wollten andere Datenerfasser sogar 38 Stundenkilometer gemessen haben — das wäre schneller als die Durchschnittsgeschwindigkeit von Usain Bolt bei seinem Weltrekordlauf 2009 in Berlin. Vermutlich war der 180-Millionen-Mann von Paris St. Germain einfach einer exakten Kontrolle entwischt.
Argentiniens Nationaltrainer Jorge Sampaoli plädierte denn auch dafür, seine Abwehrspieler nicht schuldig zu sprechen. „Ein Spiel am Mikrofon oder auf einem Blatt Papier zu analysieren, ist sehr einfach. Einen Kylian Mbappé auf dem Platz zu stoppen, hingegen sehr schwierig.“ Ginge wohl nur, wenn der auch in Badelatschen spielen würde.