Beerbaums unfreiwilliges EM-Jubiläum in Herning
Herning (dpa) - Vor ein paar Wochen hat Ludger Beerbaum noch Witze über die EM gemacht. „Hering - oder wie das heißt“, ulkte der 49-Jährige über die dänische Kleinstadt, in der von Dienstag an um EM-Medaillen geritten wird.
Mit seinem Späßchen demonstrierte der Springreiter, dass ihn das kontinentale Championat in dieser Saison nicht sonderlich interessierte. Doch nun ist auch Beerbaum in Herning am Start - und bestreitet seine zehnte EM.
„Ich bin nicht böse darüber, dass ich dabei bin“, sagt Beerbaum nun und unterstreicht damit, dass die EM noch immer nicht die oberste Priorität hat. Womöglich liegt das daran, dass es schon die zehnte EM des Routiniers ist. Sechs Goldmedaillen hat er dabei eingesammelt.
Nur durch das Pech seines Angestellten Philipp Weishaupt ist Beerbaum ins Team gerutscht. Weishaupts Pferd Monte Bellini leidet unter einer Sehnenscheidenentzündung. „Inzwischen ist er darüber weg“, berichtet der Boss: „Er hat es ganz gut verdaut.“ So wurde Beerbaum mit seiner Stute Chiara unfreiwillig vom Ersatz- zum Teamreiter und versichert: „Ich hätte auch die Rolle als Ersatzmann akzeptiert.“
„Hering - oder wie das heißt“ ist für Beerbaum eher eine Durchgangsstation. Ihn treibt etwas ganz anderes an. Etwas, das auch sein Karriereende nach hinten geschoben hat. Denn eigentlich wollte er ja mit 50 Jahren aufhören - das wäre am kommenden Montag gewesen.
„Ich hatte mir vorgenommen, die Kurve zu kriegen“, sagt Beerbaum. Aber er hört nicht auf. Beerbaum reitet weiter. Auch nach dem kommenden Montag. „Ich habe meinen inneren Vertrag mit mir verlängert“, nennt er das.
„Das hat sicher etwas mit dem Verpassen von London zu tun“, erklärt Beerbaum. Vier goldene Olympia-Medaillen hat er gewonnen, die fünfte von Athen wegen verbotener Medikation verloren. Der Ehrgeiz, mit Hans Günter Winkler nach Zahlen gleich zu ziehen, treibt ihn an. Aber auch die Aussicht auf Einzel-Gold bei der Weltmeisterschaft lockt - das ist der einzige noch fehlende Titel in seiner imposanten Trophäensammlung.
Einfach ist es trotzdem nicht. Jedenfalls nicht jeden Tag. „Ich muss mich immer mal wieder antreiben“, gibt er unumwunden zu. In diesem Alter zwickt es auch bei einem disziplinierten Sportler, der den für viele Reiter obligatorischen Gang an die Bar am Abend meidet.
„Ich habe meine jungen Kollegen im Stall, das spornt mich an“, sagt Beerbaum. Gleich drei Klasse-Reiter gehören zu den Angestellten auf seinem Hof im westfälischen Riesenbeck. „Es ist gut, ihren Atem im Nacken zu spüren.“ Mit Zidane und Chiara hat Beerbaum zudem zwei junge Pferde, die Medaillen bei WM oder Olympia versprechen. „Das motiviert natürlich auch.“
In „Hering - oder wie das heißt“ ist Chiara erste Wahl. Und wer Beerbaum ein bisschen kennt, der weiß, dass der Ehrgeiz anschwillt - spätestens wenn er am Dienstag beim Zeitspringen im Sattel der zehnjährigen Stute sitzt. Auch wenn der Start im Zentrum von Midtjylland ursprünglich nicht zur Saisonplanung gehörte und Beerbaum auch am Tag vor der Anreise noch nicht wusste, „wo das überhaupt liegt“.