Interview Schalke-Trainer Tedesco: Ich bin kein Professor
Schalkes Erstliga-Trainer über taktische Probleme, seine Trainergeneration und Verständnis für Heynckes und Funkel.
Gelsenkirchen. Es bleibt ausnahmsweise ein wenig Zeit zwischen den Trainingseinheiten des Tages. Domenico Tedesco, der erst 32 Jahre alte Trainer des FC Schalke 04, hält sich seit Amtsantritt im Sommer sehr zurück mit öffentlichen Auftritten. Er legt seinen Fokus auf die Arbeit mit seiner Mannschaft, die er wieder zurück in den internationalen Wettbewerb führen soll. Was hat den jungen Mann überhaupt zum Trainer werden lassen? Wie begegnet er dem Hype um seine Trainergeneration? Und wie sieht er den Fußball der aktuellen Zeit?
Herr Tedesco, wir wollen Sie ein bisschen besser kennenlernen. Was fasziniert Sie eigentlich am Trainerjob?
Domenico Tedesco: Einiges. Es ist zum einen das Feedback, das man regelmäßig bekommt. Wenn man in einem Büro an einem Projekt arbeitet, dann erhält man vielleicht nur eine Rückmeldung pro Jahr: zum Beispiel „Produkt gut“ oder „Produkt schlecht“. Beim Fußball bekommt man an jedem Wochenende ein Ergebnis und kann sehen, wie die Mannschaft das umgesetzt hat, was man trainiert und geplant hat.
Und was darüber hinaus?
Tedesco: Die Möglichkeit für einen Trainer, die Entwicklungen einer Mannschaft direkt zu beeinflussen und täglich zu sehen. Das reizt mich schon sehr.
Und diese Emotionalität. Es ist unglaublich, was etwa unsere Fans veranstalten. Wenn ich vor dem Spiel ins Stadion komme, noch nicht ganz in den gedanklichen Tunnel eingetaucht bin und das erlebe, dann stellt sich bei mir Gänsehautfeeling ein. Das gibt mir sehr viel. Nach einem Spiel komme ich emotional auch nicht so schnell wieder runter.
Wie wirkt sich das aus?
Tedesco: Meistens schaue ich mir das Video der Begegnung gleich noch im Stadion an, um Restfragen beantwortet zu bekommen. Ich habe es auch schon ohne direkte Aufarbeitung versucht und wollte die erste Analyse auf den nächsten Tag verschieben. Das war aber nicht gut, dann komme ich sehr spät in den Schlaf.
Hatten Sie schon als Kind den Wunsch, Fußball-Lehrer zu werden?
Tedesco: Es gab bei mir jedenfalls kein Schlüsselereignis. Es war eher ein schleichender Prozess. Ich wollte als Kind Fußballer werden, war aber nie höherklassig aktiv und habe doch immer Fußball gespielt. An Wochenenden oft in mehreren Teams nacheinander. Dann habe ich früh als Trainer begonnen, auf dem Dorf mit Achtjährigen.
War das Ihr Erweckungserlebnis?
Tedesco: Zumindest habe ich gemerkt, dass ich die Kinder motivieren konnte. Diese Mannschaft hatte zuvor so gut wie nie gewonnen. Wir haben ein paar Umstellungen gemacht und auf einmal hatten wir Erfolg. Das war eine tolle Atmosphäre innerhalb der Mannschaft, das hat mir riesig Spaß gemacht. Da wurde mir klar, dass das etwas für mich sein könnte.
Fußball war für Sie lange Zeit aber eher Nebensache?
Tedesco: Für mich war eigentlich immer klar, dass ich weiter als Wirtschafts-Ingenieur arbeite und ich Fußball stets nebenbei als großen Spaß weitermachen werde. Als ich beim VfB Stuttgart als Jugend-Co-Trainer angefangen habe, war ich bei Mercedes-Benz angestellt und morgens schon um sechs Uhr im Büro, damit ich nachmittags um 16.30 Uhr pünktlich beim Training dabei sein konnte. Nur am Vormittag konnte ich nie vor Ort sein. Irgendwann habe ich mich dann ganz für den Fußball entschieden. Geplant hatte ich das aber nie.
Sie gehören einer neuen Trainergeneration an, die öffentlich sehr gelobt wird. Es ist viel von Konzepttrainern und Matchplänen die Rede. Halten sie den Fußball für eine Angelegenheit, die eher wissenschaftliche Betrachtung finden muss?
Tedesco: Genau das stört mich. Nach dem Spiel gegen Leipzig haben das viele dem Matchplan zugeschrieben. Wir haben aber vor allem gewonnen, weil die Jungs mit großer Leidenschaft gekämpft haben. Gegen Hannover haben wir verloren, weil das nicht in allen Bereichen der Fall war. Das sind die Grundtugenden. Deshalb reagiere ich auf diesen Hype auch etwas allergisch.
Weshalb genau?
Tedesco: Ich finde es nicht so spannend, wenn mein Team und ich als Professoren und „Matchplan-Austüftler“ hingestellt und beschrieben werden. Es ist mir natürlich sehr wichtig, dass meine Mannschaft eine Idee hat. Wir schauen stets, wo der Gegner seine Schwächen hat, die wir ausnutzen möchten. Es geht schließlich um den Sieg. Aber man kann noch so tolle Ideen haben. Wenn wir nicht laufen, die Zweikämpfe nicht annehmen, schlampig in der Ball -An und Mitnahme sind, dann bringt der tollste Plan und die beste Idee nichts. Dann verliert man Spiele.
Können Sie verstehen, warum die erfahrenen Fußballlehrer Friedhelm Funkel und Jupp Heynckes jüngst sagten, dass sich der Fußball gar nicht so sehr verändert hat?
Tedesco: Das ist auch so. Es ist nicht mein Ziel, den Fußball zu revolutionieren. Es geht mir immer darum, das Beste für die Mannschaft rauszuholen und die eigenen Stärken der Spieler in den Fokus zu legen.
Kann man die Aussagen der Trainerkollegen auch als einen kleinen Seitenhieb auf ihre Generation verstehen?
Tedesco: Ich kann verstehen, dass die Kollegen sich so äußern. Viele Begriffe im Fußball scheinen neu, beschreiben aber lediglich bekannte Muster. Umschaltspiel kann man auch Konter nennen. Früher ging man vorne drauf, heute heißt das Gegenpressing. Die einzelnen Fußball-Situationen sind aber immer gleich. Ich spreche vor der Mannschaft auch noch vom Konter.
Gerade beim Umgang mit den Personalien Benedikt Höwedes und Doris Avdijai wirkten Sie für ihr junges Alter sehr gradlinig und zielorientiert. Ist das die Art, wie Sie Ihre Rolle verstehen?
Tedesco: Ich habe mir noch nie überlegt, ob ich so strikt bin. Wir haben ein Ziel und wissen, wo wir hinwollen. Wir wollen umsetzen, was für die Mannschaft am besten erscheint. Ich mache mir viele Gedanken im Vorfeld. Aber wenn ich von etwas überzeugt bin , dann stehe ich auch dazu. Und das mit aller Konsequenz. Es fällt mir aber manchmal auch nicht leicht, harte Entscheidungen zu treffen.
Inwieweit müssen Sie als Trainer Egoist sein, um Ihre Ziele zu erreichen?
Tedesco: Der Erfolg der Mannschaft steht bei mir im Mittelpunkt. Da trifft man auch schon mal Entscheidungen, die nicht bei allen Fans auf Begeisterung stoßen. Wir lassen uns da aber nicht treiben und agieren auch nicht politisch. Wir wollen die Spieler neutral beurteilen.
Sie wirken in ihren Analysen nach Abpfiff vor allem nüchtern denn emotional. Können Sie Ihre Gefühle auch direkt nach einem Spiel völlig unterdrücken?
Tedesco: Ich bemühe mich, relativ schnell in mich zu gehen und ein realistisches Bild des jeweiligen Spiels zu zeichnen. In meinen Aussagen nach dem Spiel geht es mir um eine ehrliche Analyse, auch darum, Floskeln möglichst zu vermeiden, auch weil die Spieler sehen und auch lesen, was ich sage. Wenn man mal verdient verliert, das kann man das auch einräumen. Ich versuche jedenfalls nicht, mich künstlich zurückzuhalten oder mir keine Blöße zu geben. Ich bin für einen respektvollen Umgang.
Was ist das größte Problem dass sie derzeit mit der aktuellen Schalker Mannschaft haben?
Tedesco: Mit dem Ball laufen unsere Spieler noch zu wenig. Das Freilauf-Verhalten müssen wir verbessern, um unser Offensivspiel variabler zu gestalten. In der Defensive machen wir das schon sehr gut. Gewisse Phasen der Kompaktheit sind auch okay, aber wir müssen auch zu mehr Ballbesitzzeiten kommen, ohne dabei brotlose Kunst abzuliefern. um uns gezielter unsere Offensivaktionen herausarbeiten. Da müssen wir noch viel arbeiten, da gibt es noch deutlich Luft nach oben.
Wenn Sie den FC Schalke 04 irgendwann verlassen, was wollen Sie dann erreicht haben?
Tedeso: Ich möchte, das ersichtlich ist, dass eine Mannschaft auf dem Platz steht, mit der wir gemeinsam etwas entwickelt haben — und wir auch wieder international gespielt haben.