Tanzende Stadien: Deutsches Hockey-Trio in Indien
Neu Delhi (dpa) - Indien wäre gerne wieder eine Hockey-Nation in der Weltspitze und hat mit internationalen Top-Spielern eine neue Liga aufgebaut. Die deutschen Profis Fürste, Jacobi und Deecke erleben einen Monat lang enthusiastische Fans - aber auch viel Chaos.
Trommler heizen die Stimmung im Stadion an, die Fans tanzen zu Tausenden auf den Stühlen. Unten auf dem Feld steht Oskar Deecke und staunt. „So eine Menge hat man in Deutschland nicht mal im WM-Finale“, sagt der deutsche Nationalspieler, der mit den Auswahlkollegen Moritz Fürste und Nicolas Jacobi derzeit in der neuen Hockey India League antritt. „Die Zuschauer sind so enthusiastisch und immer voll dabei“, schwärmt Welthockeyspieler Fürste. Jacobi erzählt, dass Fans nach den Spielen häufig zu ihm gerannt kommen, wenn er in die Ränge grüßt. Daheim in Deutschland winken normalerweise höchstens ein paar Kumpels zurück.
Inder begeistern sich für Hockey - ihr einst so erfolgreiches Team war bei den Olympischen Spielen 2012 in London mit sechs Niederlagen aber die schlechteste Mannschaft. Die neue, einmonatige Profiliga soll helfen, das Land wieder an die Spitze zu führen. Jedes Team besteht aus 14 indischen und 10 internationalen Spielern, die bei einer Auktion vor Weihnachten versteigert wurden. Deecke und Jacobi landeten in der Hauptstadt bei den Delhi Waveriders. „Am Anfang war das ein absoluter Hühnerhaufen“, erzählt Nationaltorhüter Jacobi.
Fürste, der für 75 000 US-Dollar und damit als zweitteuerster Spieler der Liga an die Ranchi Rhinos ging, analysiert: „Die Inder sind alle technisch unglaublich versiert, aber sie haben nicht das Auge und die Struktur, um daraus etwas Gutes zu formen.“ Die individuelle Klasse sei höher, fand er. „Aber jedes europäische Clubteam würde wahrscheinlich alle Spiele hier gewinnen, weil es besser eingespielt und besser aufeinander abgestimmt ist.“
Die Inder könnten aus der Liga richtig viel mitnehmen, meint Stürmer Deecke, der wie Fürste normalerweise beim Club de Campo Madrid aufläuft. Jacobi vom Uhlenhorster HC Hamburg fasst es so zusammen: „Wir machen mehr Erfahrung und die Inder lernen.“ Er verhehlt nicht, dass er die Ligapause in Europa aus finanziellen Anreizen in Indien verbringt. „Hier können wir sehr, sehr gutes Geld verdienen, was wir in Europa normalerweise nicht können“, sagt der 25-Jährige, der für sein Gastspiel 50 000 US-Dollar erhält.
Das Leben der drei deutschen Hockey-Asse spielt sich seit einem Monat vor allem auf Plätzen, Flughäfen und in Hotelzimmern ab. „Das ist ja kein Tourismus-Ausflug“, sagt Fürste. Einige Eindrücke haben sie von Indien aber doch bekommen, etwa bei Reisen zum Taj Mahal und zum goldenen Tempel in Amritsar. „Hier gibt es Wunderschönes und Schrecklicher-Geht's-Nicht“, sagt Deecke. „Paläste und Müllkippen.“
Es sei schon erstaunlich, wie selbstverständlich die Inder mit den Gegensätzen in ihrem Land umgingen, fügt Jacobi hinzu. Bettelnde Kinder, Slums - „so einfach kann ich das nicht wegstecken“, meint er. Deecke erzählt, dass man echt ein dickes Fell braucht, auch weil eine Zusage oft nicht so viel zähle. Einmal etwa mussten sie zu einem Spiel, aber ihre Wäsche war noch nicht da. Neun Anrufe halfen nichts. „Das kann schon nerven“, sagt der 26-Jährige.
Am Wochenende stehen in der Hockey India League Halbfinale und Finale an. Die drei Deutschen sind fit, ihre in Indien fast unvermeidlichen Magenverstimmungen haben sie überstanden. Und sie haben gute Aussichten auf den Titel, denn die Waveriders und die Rhinos führen die Liga an. Nach dem fünfwöchigen Abenteuer fast ohne Ruhetage wünschen sie sich danach ein bisschen Entspannung und Einsamkeit. Und ein bisschen weniger Chaos. „Da freut man sich sogar auf die schlecht gelaunten Deutschen“, gibt Deecke zu.