Becker: „Bin gerne zu Gesprächen bereit“

London (dpa) - Boris Becker sorgt sich um das deutsche Herren-Tennis. Für eine Wende sind nach Meinung des dreimaligen Wimbledonsiegers dringend Strukturreformen nötig. Dem neuen Präsidenten des Deutschen Tennis Bundes, Karl-Georg Altenburg, sagt Becker im dpa-Interview seine Unterstützung zu.

In London läuft derzeit die Tennis-WM, doch die deutschen Herren sind im Einzel wieder einmal nicht vertreten. Wie bewerten Sie den Zustand des deutschen Herren-Tennis?

Becker: „Ich finde es aktuell in bisschen ernüchternd, wo wir stehen und wo wir mal waren. Wir müssen dringend Strukturen verändern. Wir müssen es schaffen, wieder ein System zu finden, wo wir in fünf Jahren wieder eine Anzahl von deutschen Tennisspielern haben, die in den ersten 15 oder ersten 10 der Welt mitspielen. Wir müssen es schaffen, Tennis in Deutschland wieder besser zu vermarkten. Man kann in Deutschland heute fast kein Tennis mehr im Fernsehen schauen. Das ist ein Fehler. Wie soll man eine Sportart promoten, wenn sie in den Medien nicht gezeigt wird.“

Das war in der Vergangenheit anders, da konnte man alles sehen. Waren die Zuschauer vielleicht satt?

Becker: „Es wurde vielleicht zu viel gezeigt. Aber zwischen zu viel und gar nichts ist ja ein Mittelweg. Und wir müssen versuchen, einen Mittelweg zu finden, weil nur so kann wieder eine Tenniseuphorie, ein Tennisboom entstehen. Nur so können wieder kleine Kinder Tennisspieler statt Fußballspieler werden. Auch der Teenager in Heidelberg oder in Stuttgart hat von Federer und Nadal gehört, der kann ihn aber bei uns nicht sehen. Und das ist ein Problem.“

Vielleicht kann der neue DTB-Präsident etwas daran ändern. Wie bewerten Sie die Wahl von Karl-Georg Altenburg? Haben sie schon Kontakt mit ihm oder mit Charly Steeb gehabt?

Becker: „Ich habe guten Kontakt zu Beiden. Ich hatte im Sommer eine lange Unterhaltung mit Altenburg und Steeb, wo sie mich um meine Unterstützung gebeten haben. Auch, ob ich eine Rolle übernehmen kann.“

Wären Sie bereit, beiden zu helfen?

Becker: „Ich habe ihnen gesagt, dass ich dem deutschen Tennis gerne helfe und gerne zu Gesprächen bereit bin. Wie wir alle versuchen müssen, das deutsche Tennis wieder dahin zurückzubringen, wo es mal war. Ich brauche dafür keinen Titel. Ich habe mir in meinem Tennisleben genügend Meriten verdient, dass ich nicht Vizepräsident oder Sportwart oder sonst wie genannt werden will. Sondern ich bin Freund des Hauses und bin gerne zu Gesprächen bereit, weil ich meine, helfen zu können. Wir werden uns bald einmal konkreter zusammensetzen, um im Detail auszuarbeiten, was das genau heißt. Aber der Wunsch zu helfen ist auf jeden Fall da.“

Altenburg ist ein Banker. Ist er dennoch der richtige Mann? Hat er genügend Tennisverstand?

Becker: „Ich weiß, dass Herr Altenburg Tennisverstand hat. Aber er ist auch schlau genug, sich einen Charly Steeb an die Seite zu holen, der sehr viel vom Tennis versteht. Das ist ja das Geheimnis von guten Führungspersonen, dass sie sich ein Team von Experten zusammenzubauen. Keiner weiß alles. Und wenn du ein kluger Leader bist, dann baust du dir ein Team mit Experten zusammen. Und das hat Altenburg vor.“

Zurück zum Sportlichen. Roger Federer und Rafael Nadal dominieren seit Jahren die Szene. Ist die Rivalität zwischen ihnen mit irgendeiner in der Tennis-Geschichte zu vergleichen?

Becker: „Ich glaube, das ist die beste Tennisrivalität aller Zeiten. Ich bewerte sie höher als die zwischen Borg und McEnroe, zwischen Sampras und Agassi oder auch zwischen Edberg und mir. Nadal und Federer haben zusammen 26 Grand Slams gewonnen. Das ist unvorstellbar. Abgesehen von diesem Jahr war in den letzten sieben Jahren immer einer von beiden die Nummer eins. Das gab es im Tennissport noch nie. Ich bin großer Fan von Roger und Rafa, vor allem was ihre Persönlichkeit angeht. Sie zeigen eindrucksvoll, wie man in seinem Beruf der Beste sein und trotzdem mit Respekt für den anderen Matches gewinnen kann.“

Was erwarten Sie vom Tennis-Jahr 2012? Wir haben Djokovic, Nadal, Federer, Murray ...

Becker: „... ich tue mich etwas schwer, Murray da mit reinzunehmen...“

Warum?

Becker: „Weil er noch kein Major gewonnen hat. Tennis ist ein Sport, der sehr demokratisch ist. Wenn du gewonnen hast, dann gehörst du in diese Gruppe. So wie es Djokovic in diesem Jahr geschafft hat. Ich sehe daher im Moment noch keine Fab Four, weil Murray eben noch kein Grand Slam gewonnen hat. Ich sehe im Moment nur die Fab Three.“

Denken Sie, dass Novak Djokovic eine solche Saison wie 2011 noch einmal wieder holen kann?

Becker: „Ich denke, dass ist unwahrscheinlich. Ich wünsche es ihm. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass er noch einmal drei Grand Slams gewinnt. Es ist eigentlich unmöglich. Ich hoffe, dass er nach wie vor mindestens ein Grand-Slam-Turnier gewinnt. Das würde auch sein Jahr 2011 bestätigen. Sonst blickt man in 10 Jahren zurück und sagt: Da gab's mal einen Serben, der hat ein Jahr gehabt, das war unglaublich, aber ansonsten war er Durchschnitt. Das wäre schade. Um seinen Status zu bestätigen muss er 2012 unbedingt ein gutes Jahr haben. Gutes Jahr heißt: ein Grand-Slam-Turnier gewinnen und bis zum Ende des Jahres um Platz eins mitspielen. Das würde ich als sehr gutes Jahr bezeichnen.“

Sie lieben Wimbledon. Nächstes Jahr gibt es die einmalige Chance, wegen Olympia gleich zweimal in Wimbledon zu spielen. Was glauben Sie: Hat Federer die Chance, da zweimal zu siegen?

Becker: „Das ist natürlich der Traum von jedem Spieler, Wimbledon und Olympia auf dem gleichen Platz zu gewinnen. Federer kann es schaffen, aber Nadal kann es auch schaffen. Ich habe da keinen Favoriten. Aber es ist einmalig in der Tennisgeschichte, dass man zweimal innerhalb von wenigen Wochen Wimbledon gewinnen kann.“

Sie sind viel unterwegs. Michael Schumacher hat neulich gesagt, dass er sich als Schweizer fühlt. Sie leben in London. Fühlen Sie sich ein bisschen wie ein Brite oder Londoner?

Becker: „Ich fühle mich deutsch. Um das mal ganz klar zu sagen. Ich würde mich als Patrioten bezeichnen, auch wenn das bei uns ein schwieriges Thema ist. Aber ich habe Deutschland 15 Jahre lang sportlich repräsentiert und habe das gerne gemacht. Ich höre noch immer sehr gerne die deutsche Nationalhymne. Ich würde mich aber als Europäer sehen und sehe Europa als mein Zuhause an. Ich bin sehr gerne in der Schweiz, bin sehr gerne in England, bin aber auch sehr gerne in Italien oder Paris. Aber ich weiß, woher ich komme. Und das ist Deutschland, und ich möchte meine Wurzeln da auch nicht verbergen.“

Es ist interessant, sich inmitten dieser großen Krise als Europäer zu bezeichnen.

Becker: „Ja, aber ich lebe das, das ist meine Einstellung. Ich finde die Arbeit von Angela Merkel bemerkenswert. Wie sie als Chefin des stärksten Landes, also der stärksten Wirtschaft, alles versucht, dass die Europäische Union bestehenbleibt. Ich sehe das ähnlich. Wir sind nur als Gemeinschaft stark.“