„Comeback Queen“ Lisicki vor historischem Tag

London (dpa) - Die Tennis-Welt staunt über „Boom Boombine“ - nun will Sabine Lisicki auch Maria Scharapowa schocken. Einen Tag vor dem größten Match ihrer Karriere präsentierte sich der neue „Centre-Court-Darling“ („Daily Mirror“) an der Church Road locker und gelöst.

Immer wieder scherzte die 21-Jährige mit Doppelpartnerin Samantha Stosur - so als wäre die Vorbereitung auf ihr erstes Wimbledon-Halbfinale das Normalste der Welt. „Ich freue mich wahnsinnig darauf und will es da draußen einfach genießen“, sagte Lisicki vor dem Showdown gegen die große Turnierfavoritin.

Die Generalprobe verlief schon mal erfolgreich. Die blendend gelaunte Lisicki ist auch im Doppel auf Titel-Kurs und zog gemeinsam mit der Australierin Stosur souverän ins Viertelfinale ein.

Der faszinierende Durchmarsch von „Doris Becker“, wie Lisicki wegen ihres gewaltigen Aufschlags von den englischen Medien ehrfurchtsvoll genannt wird, erinnert frappierend an die märchenhafte Wimbledon-Geschichte von Goran Ivanisevic. Der Asse-König hatte sich vor zehn Jahren als Wild-Card-Inhaber zum Turniersieg geschmettert. Die ungesetzte Lisicki ist drauf und dran, es dem Kroaten gleichzutun. „Mal sehen, wo diese verrückte Geschichte noch endet“, sagte Ivanisevic.

Zunächst einmal aber muss Lisicki in Boris Beckers einstigem Wohnzimmer die schwierigste Aufgabe meistern, die das Damenfeld zu bieten hat. Die Russin Scharapowa blieb bisher als Einzige ohne Satzverlust und geht mit dem beflügelnden Wissen in das Halbfinal-Duell, als 17-Jährige 2004 schon einmal in Wimbledon gewonnen zu haben. Trotzdem warnte die Favoritin: „Ich muss mit Vollgas spielen, um Sabine zu schlagen.“ In Anspielung auf Scharapowas lautes Gequieke, mit dem die 24-Jährige die Bälle übers Netz jagt, titelte der „Daily Mirror“: „Sabine will Maria zum Schweigen bringen.“

Mit ihrem Power-Spiel und der unbekümmerten Hau-Drauf-Mentalität hat sich „Super Sab“ längst in die Herzen von Fans und Experten gespielt. „Vergleiche mit Steffi Graf scheinen weit davon entfernt, abwegig zu sein“, schlug der „Guardian“ den Bogen zu Lisickis großer deutscher Vorgängerin in Wimbledon. Das Boulevardblatt „The Sun“ machte die blonde Berlinerin, die nach fünfmonatiger Verletzungspause in die Weltspitze zurückgekehrt ist, zur „Comeback Queen“. Lisicki stehe an der Spitze einer langersehnten Renaissance „des Landes, das uns Graf, Boris Becker und Michael Stich brachte“.

Das Potenzial, einen anhaltenden Hype im einstigen Boom-Land auszulösen, hat Lisicki jedenfalls. Das schnellste Service im Damen-Tennis, eine krachende Vorhand und der „Drang auf die große Bühne“ (Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner) sind ein Versprechen für die Zukunft. „Sie ist eine echte Bedrohung“, sagte Lindsay Davenport. Die Amerikanerin hatte Graf 1999 in deren letzten Wimbledon-Finale bezwungen; zwölf Jahre später sorgte Lisicki für den nächsten Halbfinal-Vorstoß einer Deutschen bei einem Grand-Slam-Turnier.

Auch wenn ihr Londoner Höhenflug für das breite Publikum relativ überraschend erscheinen mag - Lisickis Weg in die Weltspitze war von langer Hand geplant. Als sie ein Teenager war, verlegte Vater Richard Lisicki den Lebensmittelpunkt nach Florida. Im Camp von Trainer-Guru Nick Bollettieri sollte das Tennis-Juwel den Feinschliff erhalten.

Und noch heute sind Papa Richard, der über Trainingsmethodik im Tennis promovierte, und Mama Maria immer dabei, um die talentierte Tochter zu unterstützen. „Sie setzen voll aufs Tennis“, berichtete Rittner. Gemeinsam bewohnt die Familie ein Häuschen in Wimbledon, das Familienunternehmen Lisicki überlässt nichts dem Zufall. „Meine Mutti kocht - das ist sicherer“, scherzte die Strahlefrau mit Blick auf die berüchtigte englische Küche.

Schon im Alter von 14 Jahren sagte die Rechtshänderin, sie wolle eines Tages die Nummer 1 werden. Was damals wie der naive Traum eines Teenagers klang, scheint sieben Jahre später nicht utopisch. Vor ihrer Sprunggelenksoperation war Lisicki schon einmal die Nummer 22 der Tennis-Welt, nach Wimbledon ist sie wieder unter den Top 25. Und noch hat sie im All England Club ja noch mindestens eine weitere Chance, den Vormarsch fortzusetzen. In einem möglichen Finale gegen die Tschechin Petra Kvitova oder die Weißrussin Victoria Asarenka wäre sie nach ihren bisherigen Leistungen sogar leicht favorisiert. Rittner ist jedenfalls überzeugt: „Wenn sie gesundbleibt, wird sie uns noch viel Freude bereiten.“