Deutsches Herren-Tennis vor düsterer Zukunft
London (dpa) - Das deutsche Herren-Tennis steht vor einer tristen Zukunft. Wie aus einer fernen Epoche wirken solch große Momente wie am 7. Juli vor 23 Jahren.
Damals duellierten sich Boris Becker und Michael Stich im Finale von Wimbledon, Stich fügte Becker in dessen „Wohnzimmer“ die wohl bitterste Niederlage seiner Karriere zu. Einen derart historischen Tennis-Tag werden die deutschen Fans auch in den kommenden Jahren sehr wahrscheinlich nicht feiern können. „Im Herrentennis sehe ich niemanden, der in den nächsten fünf Jahren Wimbledon gewinnt“, urteilte Stich jüngst im „Tennismagazin“. Selbst von einem Finaleinzug sind die deutschen Herren meilenweit entfernt.
„Solche Spieler kann man sich nicht schnitzen. Ich glaube, das sind Jahrhunderttalente, die jetzt Grand Slams gewinnen“, meinte Davis-Cup-Teamchef Carsten Arriens. Als bislang letzter deutscher Tennis-Profi bei den Herren gewann Boris Becker ein Grand-Slam-Turnier - 1996 die Australian Open.
Die triste Lage derzeit untermalte der diesjährige Auftritt der Herren bei der traditionsreichen Rasen-Veranstaltung an der Church Road noch einmal. Die drei deutschen Frauen Angelique Kerber, Sabine Lisicki und Andrea Petkovic wahrten ihre Chance auf das Achtelfinale, von den sieben gestarteten Herren dagegen drang nicht ein einziger in die dritte Runde vor. So schlecht wie nur 2011 und 1987 schnitten die männlichen Vertreter des Deutschen Tennis-Bundes ab.
Die Namen der aktuellen oder früheren Davis-Cup-Spieler Philipp Kohlschreiber, Benjamin Becker, Tobias Kamke und Jan-Lennard Struff sind genauso aus dem Turniertableau verschwunden wie die von den möglichen Überraschungskandidaten Dustin Brown, Julian Reister oder Tim Pütz. Das Abschneiden sei „nicht dramatisch“, befand Arriens. Die Spieler hätten im „Bereich ihrer Möglichkeiten“ gespielt.
Natürlich waren die Voraussetzungen nicht optimal. In Tommy Haas und Florian Mayer traten zwei Spieler gar nicht erst an, denen durchaus mehr als Runde drei zuzutrauen gewesen wäre. Haas bangt nach seiner vierten Schulter-Operation um seine Karriere, Mayer pausiert wegen einer Schambeinverletzung. „Ich glaube, wenn alle drei fit gewesen wären, hätten wir auch ein oder zwei in der zweiten Woche gehabt“, so Arriens und zog auch Kohlschreiber mit ein.
Dennoch bleibt ein Eindruck der Enttäuschung zurück. Gerade von Kohlschreiber, der sich selbst als Top-Ten-Kandidat sieht, sich aber in seiner Zweitrundenpartie als klarer Favorit gegen den Italiener Simone Bolelli nicht durchsetzen konnte.
Aber ist Kohlschreiber mit seinen 30 Jahren überhaupt noch der größte Hoffnungsträger? Auch Mayer ist schon 30, Haas gar sechs Jahre älter. Von den Jüngeren scheint keiner das Potenzial etwa für einen Halbfinal-Auftritt bei den großen Turnieren zu haben. Der 24-jährige Struff hat schon bewiesen, dass er die Topspieler ärgern kann, doch für mehr fehlt ihm die Konstanz. Spieler wie Peter Gojowczyk, Daniel Brands und Struff könnten sich Richtung Top 50 bewegen, urteilte Arriens, schließt aber selbst „ein, zwei Jahre“ ohne einen Deutschen unter den Besten 50 nicht aus, wenn die älteren Spieler abtreten.
Ein wenig Hoffnung macht der 17-jährige Hamburger Alexander Zverev, der zu Jahresbeginn bei den Australian Open den Junioren-Titel gewann. Doch heißen muss das nicht viel. Schon etlichen Talenten gelang die Umstellung zu den Turnieren der Erwachsenen nicht. „Wenn er sich so weiterentwickelt, hat er sicherlich das Potenzial, Wimbledon zu gewinnen“, sagte Stich und schränkte ein: „Er ist zu jung, um sagen zu können, was bei ihm in fünf Jahren passiert.“
Jetzt rächt sich, dass der Verband die Nachwuchsarbeit im männlichen Bereich jahrelang wie ein Stiefkind behandelt hat. Während bei den Damen aus dem Porsche Talent Team immer wieder neue Spielerinnen auf der Tour auftauchen, steht der Aufbau eines ähnlichen Teams bei den Herren noch ganz am Anfang. Davis-Cup-Teamchef Arriens und sein Assistent Michael Kohlmann wollten eigentlich schon längst die Kandidaten hierfür präsentieren, noch ist aber nichts geschehen.
Becker führt die Misere auf die deutsche Struktur mit den einzelnen Landesverbänden zurück und wünschte sich in der „Sport Bild“ ein nationales Tennis-Zentrum mit ehemaligen Topspielern als Trainern. „Selbst der liebe Gott könnte heute mit den aktuellen Strukturen das deutsche Tennis nicht mehr retten“, meinte Becker drastisch.