Ein Wimbledon zum Vergessen: Deutsche Profis alle raus
London (dpa) - 30 Jahre nach Boris Beckers Sternstunde haben die deutschen Tennisprofis in Wimbledon einen Alptraum erlebt. Erstmals seit 2006 hat es keiner der zehn Damen und acht Herren beim bedeutendsten und öffentlichkeitswirksamsten Turnier in das Achtelfinale geschafft.
Wenn am Montag die zweite Woche beginnt, sind Sabine Lisicki, Angelique Kerber & Co. schon im Urlaubsmodus. Der nur kurzzeitig glänzende Dustin Brown wollte am Tag nach seinem Drittrunden-K.o. in den Niederungen der Bundesliga antreten - für Rot-Weiss Köln gegen Blau-Weiß Krefeld.
„Natürlich ist es nicht der Anspruch, den die Spielerinnen haben oder haben sollten mit Blick auf die Top 10. Ich war mir sicher, dass ich hier in der zweiten Woche noch was zu schauen habe“, sagte Bundestrainerin Barbara Rittner, als sie am Samstag nur wenige Augenblicke nach den Niederlagen von Lisicki, Kerber, Tatjana Maria und Brown auf der Terrasse vor dem Spielerrestaurant auf einer Holzbank Platz nahm und versuchte, das Debakel zu erläutern.
Interessant wären in diesem Moment auch die Analysen ihres männlichen Kollegen Michael Kohlmann gewesen. Doch der Davis-Cup-Teamchef tourte mit dem B-Kader durch Deutschland und war gar nicht erst nach Wimbledon gereist. Erklärt wurde die Abwesenheit von Kohlmann selber mit der Tatsache, dass die Nachwuchsarbeit ja bislang seine eigentliche Aufgabe gewesen sei und das Engagement als Bundestrainer erst nach der Trennung des DTB von Carsten Arriens zustande kam.
Und so hinterließen die Protagonisten des Deutschen Tennis Bundes nicht nur ein sportliches Bild des Jammers. Auch so mancher Auftritt abseits des Rasens hinterließ mehr Fragezeichen als Antworten.
Andrea Petkovic weinte bei ihrer Drittrunden-Niederlage gegen die Kasachin Sarina Dijas schon auf dem Platz, brach nach wenigen Minuten die Pressekonferenz ab und sprach von familiären Problemen, die sie nicht näher erläutern wollte. Sabine Lisicki wurde ausgerechnet bei ihrem Lieblingsturnier, wo sie in den vergangenen sechs Jahren bei jeder Teilnahme mindestens im Viertelfinale stand und 2013 das Endspiel erreichte, von Timea Bacsinszky in zwei Sätzen demontiert.
Die Schweizerin stand bei den French Open im Halbfinale und ist die Nummer 15 der Welt. Auf Rasen ist sie jedoch gewiss keine furchteinflößende Gegnerin. Lisicki aber spielte schwach wie selten auf Gras. „Das Match war sicher nicht schön für sie. Sie wird sich ihre Gedanken machen“, sagte Rittner. Die 25-jährige Berlinerin sprach von fehlendem Selbstvertrauen, dass ihre Gegnerin einfach besser gewesen sei und dass sie aus ihren Fehlern lernen wolle.
Auf die Frage aber, ob die Meldung der „Sport Bild“ stimme, dass sie ihr Management wechseln und vom Vermarktungsriesen IMG zur Firma wechseln werde, die auch ihren Lebensgefährten Oliver Pocher und Boris Becker vertritt, wollte sie zwei Tage zuvor nicht antworten.
Kerber wiederum war noch am wenigsten vorzuwerfen. Die 27 Jahre alte Kielerin unterlag der extrem starken Spanierin Garbiñe Muguruza erst nach mehr als zweieinhalb Stunden 6:7 (12:14), 6:1, 2:6. Doch auch die Nummer zehn der Welt fiel wieder einmal in längst überwunden geglaubte Verhaltensmuster zurück. Zu passiv, zu defensiv, mit „Handbremse“, wie es Rittner formulierte, spielte die Linkshänderin.
Im Gegensatz zu den hochgehandelten und tiefgefallen Damen waren die Erwartungen an die Herren von Anfang an gering. Philipp Kohlschreiber hatte Pech mit der Auslosung und flog in Runde eins gegen Titelverteidiger Novak Djokovic raus. Alexander Zverev feierte ein grandioses Grand-Slam-Debüt, war in der zweiten Runde aber platt und chancenlos. Und Dustin Brown wurde nach seinem spektakulären Sieg gegen Rafael Nadal gepriesen und gehyped wie ein Wimbledonchampion. Zwei Tage später schied er gegen den Serben Viktor Troicki aus.
Über ihre Damen sagte Rittner: „Dieses Jahr wirken sie bei den Grand Slams auf mich eher verkrampft. Als ob sie sich zu sehr unter Druck setzen. Sie werden sich jetzt alle ein bisschen Auszeit nehmen und in sich gehen.“ Bis zum nächsten Grand Slam - den US Open in New York - sind knapp zwei Monate Zeit.