Friedsams Melbourne-Märchen wird zum Drama
Melbourne (dpa) - Anna-Lena Friedsam weinte hemmungslos, als sich ihr Melbourne-Märchen in ein Tennis-Drama verwandelt hatte.
Zweieinhalb Stunden lang hatte die deutsche Meisterin der Polin Agnieszka Radwanska im Achtelfinale der Australian Open einen tollen Fight geliefert, stand kurz vor dem Einzug ins Viertelfinale. Doch dann verspürte sie plötzlich Schmerzen im linken Oberschenkel, auf einmal ging gar nichts mehr. „Ich konnte auf dem Bein kaum noch stehen“, sagte Friedsam später. Auch Massagen und ein dicker Verband halfen nicht mehr - Friedsam verlor das erste große Match ihrer Karriere mit 7:6 (8:6), 1:6, 5:7 und schied aus.
„Ich glaube schon, dass ich das Spiel gewonnen hätte, wenn mir das nicht passiert wäre“, sagte die 21-Jährige, als sie rund eineinhalb Stunden nach den dramatischen Ereignissen in der Hisense Arena im kleinen Interview-Raum zwei Rede und Antwort stand. „Ab 5:5 kann man das eigentlich ja gar nicht mehr mitzählen“, meinte Friedsam.
Innerhalb weniger Minuten hatte sich die Begegnung für sie von einer Stern- in eine Trauerstunde verwandelt. Beim Stand von 5:3 im dritten Satz hatte Friedsam noch zum Matchgewinn aufgeschlagen, die Sensation stand dicht bevor.
Doch plötzlich wurde der Arm ein bisschen schwer, gelangen der Nummer vier der Welt einige perfekte Schläge. Friedsam gab ihr Service ab, die Partie war wieder offen - dachte man zumindest. Aber schon beim folgenden Seitenwechsel rief Friedsam die Physiotherapeutin auf den Platz, der Oberschenkel war plötzlich völlig verkrampft. „So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt“, schilderte sie ihre Erfahrungen.
Das folgende Aufschlagsspiel von Radwanska konnte sie noch einigermaßen normal bestreiten, war zweimal nur zwei mickrige Punkte vom größten Erfolg ihrer Karriere entfernt. Aber dann ging überhaupt nichts mehr. Friedsam schrie vor Schmerzen, begann zu weinen, weil sie merkte, dass es nicht mehr vernünftig weitergehen würde. Zu allem Überfluss erwies sich der spanische Schiedsrichter Felix Torralba als wenig einfühlsam und strikter Hüter seiner Regeln.
Weil Friedsam sich beim Aufschlag wegen der Krämpfe zu viel Zeit ließ, sprach der Referee erst eine Verwarnung und dann einen Punktabzug aus. Zu allem Überfluss entschied ein Linienrichter auch noch auf Fußfehler gegen die nur noch humpelnde Deutsche - es kam jetzt einfach alles zusammen. „Ich wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte“, berichtete Friedsam, „bin panisch geworden.“
Radwanska nutzte die Situation eiskalt und rettete sich ins Viertelfinale. So richtig freuen mochte sich die Polin aber nicht. „Sie hat unglaublich gespielt. Ich war ganz schön in Schwierigkeiten. Ich hoffe, es ist nichts Ernstes bei ihr“, sagte die Weltmeisterin.
Friedsam ließ sich nach den packenden Ereignissen erst einmal behandeln, Eisbad und Massagen standen an. Als sie dann gegen 22.30 Uhr Ortszeit zur Presserunde erschien, wirkte sie schon wieder gefasst. „Natürlich bin ich enttäuscht, aber vor allem auch unglaublich stolz auf die Woche und vor allem das Match heute“, sagte die neue deutsche Tennis-Hoffnung aus dem knapp 300 Einwohner kleinen Oberdürenbach in der Eifel.
Dort wird Friedsam jetzt in den kommenden Tagen erst einmal mit Freunden und Familie die Erlebnisse der vergangenen Tage sacken lassen. Erstmals stand sie bei einem Grand-Slam-Turnier im Achtelfinale, rückte plötzlich ins breite Licht der Öffentlichkeit. „Sie hat ein tolles Turnier gespielt und wird uns allen noch viel Freude bereiten“, sagte Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner.
Rittner hat Friedsam auch für die erste Runde im Fed Cup gegen die Schweiz Anfang Februar auf der Rechnung. Friedsam selbst geht aber erst einmal nur davon aus, „dass ich das Team in Leipzig anfeuern werde.“ Doch wie schnell sich im Tennis alles ändern kann, musste sie am Sonntag im wahrsten Sinne des Wortes schmerzhaft erleben. Vielleicht ist der nächste rasante Wandel für sie ja dann ein positiver und Rittner nominiert sie. In der Form von Melbourne wäre Friedsam auf jeden Fall ein Gewinn.
Eine deutsche Viertelfinalistin wird es in Melbourne derweil trotzdem geben. In einem weiteren Achtelfinale stehen sich am Montag ab ein Uhr deutscher Zeit Angelique Kerber und Annika Beck gegenüber. Erstmals seit fünf Jahren wird daher auf jeden Fall eine Deutsche um den Einzug ins Halbfinale kämpfen. Letztmals stand Andrea Petkovic 2011 unter den letzten Acht.