Lisicki vor historischem Tag - Federer draußen
London (dpa) - „Boom Boombine“ Lisicki will bei ihrem Siegeszug nun auch Maria Scharapowa schocken - zuvor staunte die Tennis-Welt in Wimbledon über das sensationelle Viertelfinal-Aus von Superstar Roger Federer.
Für den Schweizer war am Mittwoch nach dem 6:3, 7:6 (7:3), 4:6, 4:6, 4:6 gegen den Franzosen Jo-Wilfried Tsonga die Jagd nach dem siebten Titel an der Church Road zu Ende. Federer hatte nie zuvor in 178 Grand-Slam-Matches nach einer 2:0-Satzführung noch verloren. „Ich hatte meine Chancen. Deshalb ist die Niederlage hart“, sagte er.
Überraschungsmann Tsonga trifft am Freitag in der Vorschlussrunde auf den serbischen Weltranglisten-Zweiten Novak Djokovic, der den australischen Qualifikanten Bernard Tomic mit 6:2, 3:6, 6:3, 7:5 niederrang. Im zweiten Semifinale stehen sich die britische Hoffnung Andy Murray und der Weltranglisten-Erste Rafael Nadal gegenüber. Murray bezwang Feliciano Lopez aus Spanien mit 6:3, 6:4, 6:4, Titelverteidiger Nadal den Amerikaner Mardy Fish mit 6:3, 6:3, 5:7, 6:4.
Sabine Lisicki präsentierte sich einen Tag vor dem größten Match ihrer Karriere derweil locker und gelöst. Immer wieder scherzte die 21-Jährige mit Doppelpartnerin Samantha Stosur - so als wäre die Vorbereitung auf ihr erstes Wimbledon-Halbfinale das Normalste der Welt. „Ich freue mich wahnsinnig darauf und will es da draußen einfach genießen“, sagte Lisicki vor dem Showdown gegen die große Turnierfavoritin Scharapowa.
Die Generalprobe verlief für den neuen „Centre-Court-Darling“ („Daily Mirror“) schon mal erfolgreich. Die blendend gelaunte Lisicki ist auch im Doppel auf Titel-Kurs und zog gemeinsam mit der Australierin Stosur souverän ins Viertelfinale ein.
Der faszinierende Durchmarsch von „Doris Becker“, wie Lisicki wegen ihres gewaltigen Aufschlags von den britischen Medien voller Ehrfurcht genannt wird, erinnert an die märchenhafte Geschichte von Goran Ivanisevic. Der Asse-König hatte sich vor zehn Jahren als Wildcard-Inhaber zum Wimbledon-Sieg geschmettert. Die ungesetzte Lisicki ist drauf und dran, es dem Kroaten gleichzutun. „Mal sehen, wo diese verrückte Geschichte noch endet“, sagte Ivanisevic.
Zunächst einmal aber muss Lisicki in Boris Beckers einstigem Wohnzimmer die schwierigste Aufgabe meistern, die das Damenfeld zu bieten hat. Die Russin Scharapowa blieb bisher als Einzige ohne Satzverlust und geht mit dem beflügelnden Wissen in das Halbfinal-Duell, als 17-Jährige 2004 schon einmal in Wimbledon gewonnen zu haben. Trotzdem warnte die Favoritin: „Ich muss mit Vollgas spielen, um Sabine zu schlagen.“
Mit ihrem Power-Spiel und der unbekümmerten Hau-Drauf-Mentalität hat sich „Super Sab“ längst in die Herzen von Fans und Experten gespielt. „Vergleiche mit Steffi Graf scheinen weit davon entfernt, abwegig zu sein“, schlug der „Guardian“ den Bogen zu Lisickis großer deutscher Vorgängerin in Wimbledon. Das Boulevardblatt „The Sun“ machte die blonde Berlinerin, die nach fünfmonatiger Verletzungspause in die Weltspitze zurückgekehrt ist, zur „Comeback Queen“. Lisicki stehe an der Spitze einer langersehnten Renaissance „des Landes, das uns Graf, Boris Becker und Michael Stich brachte“.
Das Potenzial, einen anhaltenden Hype im einstigen Boom-Land auszulösen, hat Lisicki jedenfalls. Das schnellste Service im Damen-Tennis und die krachende Vorhand sind ein Versprechen für die Zukunft. „Sie ist eine echte Bedrohung“, sagte Lindsay Davenport. Die Amerikanerin hatte Graf 1999 in deren letzten Wimbledon-Finale bezwungen; zwölf Jahre später sorgte Lisicki für den nächsten Halbfinal-Vorstoß einer Deutschen bei einem Grand-Slam-Turnier.
Auch wenn ihr Londoner Höhenflug für das breite Publikum relativ überraschend erscheinen mag - Lisickis Weg in die Weltspitze war von langer Hand geplant. Als sie ein Teenager war, verlegte Vater Richard Lisicki den Lebensmittelpunkt nach Florida. Im Camp von Trainer-Guru Nick Bollettieri sollte das Tennis-Juwel den Feinschliff erhalten. Und noch heute sind die Eltern Richard und Maria Lisicki immer dabei, um die talentierte Tochter zu unterstützen. „Sie setzen voll aufs Tennis“, berichtete Fed-Cup-Kapitän Barbara Rittner.
Schon im Alter von 14 Jahren sagte Lisicki, sie wolle eines Tages die Nummer 1 werden. Was damals wie der naive Traum eines Teenagers klang, scheint sieben Jahre später nicht utopisch. Vor ihrer Sprunggelenksoperation war Lisicki schon einmal die Nummer 22 der Tennis-Welt, nach Wimbledon ist sie wieder unter den Top 25.
Und noch hat sie im All England Club ja noch mindestens eine weitere Chance, den Vormarsch fortzusetzen. In einem möglichen Finale gegen die Tschechin Petra Kvitova oder die Weißrussin Victoria Asarenka wäre sie nach ihren bisherigen Leistungen sogar leicht favorisiert. Rittner ist jedenfalls überzeugt: „Wenn sie gesundbleibt, wird sie uns noch viel Freude bereiten.“