Nicht nur auf dem Tennisplatz Mischa Zverev: Mann der alten Schule
Melbourne (dpa) - Immer freundlich, bescheiden, und in drei Sprachen nie um eine eloquente oder witzige Antwort verlegen: Mischa Zverev ist zwar zum ersten Mal Grand-Slam-Viertelfinalist, aber nicht erst seit dem Coup gegen Andy Murray ein Champion der Herzen.
Seine antiquiert erscheinende Serve-und-Volley-Spielweise beschert dem 29-Jährigen die Sympathien von Boris Becker und John McEnroe, sein Auftreten mindestens genauso viel Zuspruch. Alle, so scheint es, gönnen dem älteren der Zverev-Brüder nach Verletzungen und privaten Rückschlägen seinen zweiten Tennis-Frühling - der noch besser ist als der erste. „Es war eine lange Reise, aber sie hat Spaß gemacht“, sagte Zverev nach dem 7:5, 5:7, 6:2, 6:4-Erfolg über Murray am Sonntag, dem Geburtstag seines Vaters, der ihn auch trainiert.
Ein Freund, der in den USA die Fernsehübertragung sah, berichtete ihm davon, dass Kommentator McEnroe ihn zu seinem neuen Lieblingsspieler auserkoren habe. Das mochte Zverev erst glauben, als der ergraute einstige Wimbledonsieger ihm in Melbourne persönlich gratulierte. Der Amerikaner - wie Zverev Linkshänder - freue sich über das Tennis der alten Schule mit Aufschlag und folgendem Netzangriff, erzählte er.
Dem schloss sich Boris Becker an, als TV-Experte für den Sender Eurosport dabei: „Es war sehr gut zu sehen, vor allem auch für die jungen Spieler, dass Aufschlag und Volley immer noch wichtig sind. Es sollte eine Lehrstunde für alle jungen Spieler gewesen sein.“ Viertelfinal-Gegner Roger Federer meinte: „Ich mag Mischa sehr, er hat ein sehr schönes Spiel.“
Schon nach seinem Zweitrunden-Sieg über US-Aufschlagriese John Isner berichtete Zverev, noch nie hätten ihm so viele Leute gratuliert, unter ihnen Spieler und Trainer. Im Match gegen Murray hallten an einem Sommertag aus dem Bilderbuch Anfeuerungsrufe auf Englisch, Deutsch und Russisch durch die sonnendurchflutete Rod-Laver-Arena.
Alles wirkte ein bisschen irreal auf den sehr geerdet erscheinenden Zverev. Der geborene Moskauer kam im Kindesalter mit seinen Eltern nach Hamburg. Wenn er erzählt, dass er mit seinem zehn Jahre jüngeren Bruder Alexander bei der Saisonvorbereitung in Florida gezählt hat, wer mehr Frikadellen ist, klingt er nach Hamburger Junge. Wenn er schnell und fließend Englisch spricht, klingt es ein bisschen nach Amerika.
Zverev ist schon so lange dabei, er galt zu Jugendzeiten als großes deutsches Talent, das auch Doppel spielen kann. Mehr als Weltranglisten-Platz 45 im Alter von 21 Jahren wurde es bislang nicht, nun wird der Linkshänder wohl unter die Top 40 der Welt vorstoßen, nachdem er Anfang 2015 nach einer Handgelenks-Operation schon mal bis auf Rang 1067 abstürzte und kein Vertrauen mehr in sein Spiel hatte. Privat machte er im Beziehungsleben als junger Mann früh unerfreuliche Erfahrungen. Als er selbst nicht spielen konnte, begleitete er Junioren auf kleine Turniere nach Süd-Texas - für ihn „nicht die schönste Ecke der Welt“ mit Motels und Fast Food. Zverev vermisste es, selbst zu spielen.
Sein jüngerer Bruder, der in der dritten Runde knapp an Rafael Nadal scheiterte, habe ihm damals geholfen und gesagt, er könne es wieder unter die Top 100 der Welt schaffen. Da ist der ältere Zverev schon seit dem vorigen Jahr wieder. „Ich musste am Boden ankommen, um wieder bei Null anzufangen und zu begreifen, wie viel Tennis mir bedeutet“, sagte Zverev. Und vielleicht auch die Konkurrenz im eigenen Hause bekommen, um so zu spielen wie jetzt.