Vor Australian Open Nach dem „Jahr des Leidens“: Kerber lächelt wieder
Melbourne (dpa) - Auf dem kurzen Flug von Sydney nach Melbourne hakte Tennis-Ass Angelique Kerber das lange nicht erlebte Titelgefühl schon wieder ab.
„Das Thema ist mit heute erledigt. Für mich fängt jetzt ein neues Turnier an, es geht komplett von Null los“, sagte die 29 Jahre alte Kielerin am Tag nach ihrem Coup im olympischen Tennisstadion von 2000. Alles auf Anfang lautet aber nicht nur ihr Motto für die Australian Open, bei denen sie am Dienstag auf Anna-Lena Friedsam trifft. „Ich habe mit 2017 abgeschlossen“, beteuerte Kerber.
Und wie sie da so im sonnendurchfluteten Presseraum saß, lächelnd über das schöne Gefühl mit dem gläsernen Pokal in der Hand, das harmonische Miteinander mit ihrem neuen Coach Wim Fissette oder ihr wiedererwachtes Selbstvertrauen sprach, schien es das vergangene Jahr der Zweifel niemals gegeben zu haben.
„Von einem Jahr des Leidens zu neun perfekten Matches“, schrieb die australische Zeitung „The Age“. Während Partner und Australian-Open-Mitfavorit Alexander Zverev beim Hopman Cup noch nicht wieder in Bestform agierte und das am Samstag als Teil der Vorbereitung beschrieb, gewann Kerber in Perth alle Einzel. Beim WTA-Turnier in Sydney wehrte sie Matchbälle ab und warf die frühere Nummer eins Venus Williams und die ehemalige WTA-Weltmeisterin Dominika Cibulkova aus dem Turnier.
Auf einmal steht wieder die neue alte Kerber auf dem Platz. Das Finale in Sydney gewann sie dank eines kompromisslosen Auftritts gegen Ashleigh Barty 6:4, 6:4. Gegen die Australierin hatte sie am Ende der Vorsaison bei der B-WM in Zhuhai noch klar verloren. Kerber weinte damals bitterlich und ließ sich nur schwer trösten.
Doch jetzt hat sich die einstige Nummer eins der Welt mit ihrem ersten Turniersieg seit den US Open 2016 plötzlich wider Willen in den erweiterten Kreis der Favoritinnen für das erste Grand-Slam-Kräftemessen der neuen Saison katapultiert.
Die deutsche Damen-Chefin Barbara Rittner hält sogar ein deutsches Finale Down Under zwischen Julia Görges und Kerber für möglich. Ihr Kollege Boris Becker zeigte sich „beeindruckt“, der tennis-begeisterte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel gratulierte via Twitter zu einem „großartigen Auftakt zum Jahresbeginn“.
Nur zwei Wochen hat die Metamorphose zurück zu Kerbers 2016er-Version gedauert. „Spiel mit dem Gedanken, das ist ein Winner, der Ball kommt nicht zurück von drüben“, rief Fissette am Sonntag während der 60-minütigen Trainingseinheit in der Hisense-Arena. „Sehr gut, sehr gut“, lobte der Belgier bei gelungenen Schlägen. In den Pausen redete der 37-Jährige energisch gestikulierend auf seine neue Klientin ein.
„Wir wissen beide, was wir wollen“, sagte Kerber, die sich am Ende des vergangenen Jahres von ihrem langjährigen Trainer Torben Beltz getrennt und den Ex-Coach von Kim Clijsters, Victoria Asarenka oder Sabine Lisicki verpflichtet hatte. „Es war eine gute und richtige Entscheidung. Ich wusste, ich muss was ändern“, sagte Kerber.
2016 gewann sie zwei Grand-Slam-Titel, wurde die Nummer eins der Welt, stand in Wimbledon und bei Olympia im Finale. 2017 erreichte sie lediglich das Endspiel im mexikanischen Monterrey, das sie verlor. „Ich bin erleichtert, dass das Jahr so angefangen hat. Dass es gleich beim ersten Turnier so gut klappt, damit habe ich nicht gerechnet“, sagte Kerber. In der Weltrangliste verbessert sie sich auf Platz 16, doch ihr Anspruch wird wieder ein anderer sein.
In Melbourne begann vor zwei Jahren ihr wundersamer Aufstieg. Auf den riesenhaften Werbe-Postern überall auf der Anlage ist Kerber mit dem Weltranglisten-Ersten Rafael Nadal zu sehen. Mit ausgestrecktem Zeigefinger, ihrem Markenzeichen nach wichtigen Siegen. Auch am Samstag in Sydney bekamen die Zuschauer diese Geste wieder zu sehen.