Fussball-Bundesliga Warum Kölns Trainer Baumgart nach dem Derbysieg betrübt ist

LEVERKUSEN · Großes Bedauern über die Verletzung von Wirtz. Der Coach kritisiert einmal mehr die Kölner Fans – und will vom Europapokal immer noch nichts wissen

Kölns Jonas Hector (l.) und Torhüter Marvin Schwäbe jubeln nach der Partie.

Foto: dpa/Marius Becker

Erst fünf Minuten nach Beginn der zweiten Halbzeit kehrte Steffen Baumgart aus den Katakomben der BayArena zurück an die Seitenlinie. Der Trainer des 1. FC Köln hatte mit Durchfall zu kämpfen. Gut möglich, dass ihm die Reaktion vieler Kölner Fans auf den Magen geschlagen war. Mit hämischen Schmähgesängen hatten diese die schwere Verletzung des Leverkusener Mittelfeld-Regisseurs Florian Wirtz begleitet. Als dessen Auswechslung angezeigt wurde, brandete im Gäste-Block tosender Jubel auf, und während das im Januar 2020 von der Jugend der „Geißböcke“ nach Leverkusen gewechselte Talent dann vom Platz getragen wurde, ertönten „Hurensohn“-Rufe.

Erst vor drei Wochen hatte Baumgart die eigenen Anhänger gerügt, damals wegen ihres mangelnden Rückhalts für Ersatztorwart Timo Horn. Am Sonntag erklärte er auf die Frage dieser Zeitung: „Zunächst einmal wünschen wir Flo alles Gute und hoffen, dass er so schnell als möglich gesund wird. Bei der Reaktion unserer Fans gibt es keine Bewertung – sie war nicht in Ordnung, sie war nicht okay. Wir alle sind Sportler und wenn wir so etwas sehen, dann ist das auch für alle sehr traurig – auch für uns als sportlichen Gegner. Ich glaube, dass man merken konnte, dass dies für uns ebenso ein Schock gewesen ist. Dieses höhnische Begleiten haben wir leider oft in den Stadien, das gibt es ja dann leider auch auf beiden Seiten. Ich finde das nicht in Ordnung.“

Auf dem Rasen kümmerte sich Kölns Torjäger Anthony Modeste um Wirtz, auch die sozialen Kanäle des Vereins äußerten ihr Bedauern. Dabei sollte doch das Sportliche im Vordergrund stehen, schließlich durfte im 85. Rheinland-Derby der erst 22. Kölner Sieg über die „Werkself“ bejubelt werden. Ein Sieg, den Steffen Baumgart mit Händchen eingeleitet hatte. In der 64. Minute brachte er Kingsley Schindler und Dejan Ljubicic, drei Minuten später gelang Schindler auf Vorarbeit von Ljubicic das 1:0.

Damit rückte der „Effzeh“ auf Rang sieben der Tabelle vor. Ein Platz, der am Ende der Saison für die Qualifikation zur Europa-Conference-League berechtigen könnte. Vom Europapokal allerdings will Baumgart weiterhin nichts wissen. „Wir haben heute den Klassenerhalt perfekt gemacht, alles andere müssen wir uns mal anschauen“, meinte der gebürtige Rostocker. Aus gutem Grund – seine Mannschaft schafft es mit mehr Fleiß denn Talent sowie durch mehr disziplinierter Umsetzung taktischer Vorgaben denn spielerischer Kreativität bessere Ergebnisse zu erzielen, als bei der individuellen Klasse des Kaders eigentlich möglich erscheinen. „Ich hätte alle meine Spieler bringen können, keiner wäre schneller gewesen als die Leverkusener. Heute hat die glücklichere Mannschaft gewonnen, nicht die bessere. Normalerweise bekommen wir zwei bis drei Gegentreffer, wir hatten in Marvin Schwäbe jedoch einen überragenden Torhüter“, sagte Baumgart.

Der „Werkself“ fehlt nun
eine komplette Achse

Der vor der Saison eigentlich nur als Ersatzmann von Timo Horn von Bröndby IF geholte 26-jährige Südhesse brachte die Angreifer der „Werkself“ zur Verzweiflung. „Spielerisch war das nicht unsere beste Leistung, wir waren mit dem Ball nicht dominant genug“, befand Jonathan Tah. Ob sich für den 43-jährigen Trainer Seoane in den kommenden Wochen weitere Probleme ergeben, muss sich zeigen. Immerhin fallen nach Torjäger Patrik Schick (24 Treffer, Muskelfaserriss) sowie „Abräumer“ Robert Andrich (Knie-Reizung) nun auch noch Wirtz (Kreuzbandriss) und Frimpong (Sprunggelenkverletzung) aus. Vier Leistungsträger, welche die Statik des Leverkusener Spiels erheblich beeinflussen. „Flo und Jeremie sind in dieser Saison vielleicht unsere beiden besten Spieler. Ihre Ausfälle können selbst einer starken Mannschaft wie wir es sind den Rhythmus brechen“, meinte Torhüter Lukas Hradecky.

Erste Antworten auf den rabenschwarzen Sonntag der „Werkself“ wird schon der Donnerstag liefern. Dann muss Bayer 04 im Achtelfinal-Rückspiel der Europa League das im Hinspiel erlittene 2:3 gegen Atalanta Bergamo wettmachen. Bei den Lombarden spielen in Ruslan Malinovskyi und Aleksey Miranchuk ein Ukrainer und ein Russe. Die zwei sind gute Freunde, ihr Thema ist täglich der Krieg. Vor diesem Hintergrund erscheint selbst eine schwere Verletzung wie jene von Florian Wirtz dann plötzlich in einem anderen Licht.