Pechstein-Urteil kann Sportgerichtsbarkeit revolutionieren
Karlsruhe (dpa) - Für Claudia Pechstein wird es wieder ernst, und die Sportler in aller Welt könnten von ihrer Zähigkeit profitieren. Am Ende ihres siebten Prozesses gegen den Eislauf-Weltverband ISU erhofft sich Pechstein vom Urteil des Bundesgerichtshofes nun einen Durchbruch.
Wegen einer aus ihrer Sicht ungerechtfertigten Zwei-Jahres-Sperre klagte die 44 Jahre alte Eisschnelllauf-Olympiasiegerin und erhielt vor dem Oberlandesgericht München recht. Nun erklärt sich der BGH zur Revision des Weltverbandes. Die Deutsche Presse-Agentur beleuchtet Fragen vor dem möglicherweise historischen Urteil am Dienstag am Bundesgerichtshof in Karlsruhe.
Welche Erkenntnisse brachte die BGH-Verhandlung am 8. März?
Jörg Nothdurft, Abteilungsleiter Recht im Kartellamt, hatte klar darauf verweisen, dass der Sportgerichtshof CAS „immer noch gegen Kartellrecht verstoßen“ könne. Er bezeichnete ein „Herauffahren der Neutralität“ des CAS für angebracht und folgte damit der Argumentation von Pechsteins Anwälten. Das Gericht macht keine Andeutungen, in welche Richtung es tendieren werde.
Warum hat sich das höchste deutsche Zivilgericht überhaupt mit dem Fall befasst?
Die ISU vertritt in ihrer Revision die Auffassung, dass sich Sportler mit ihrer Unterschrift unter die Athletenvereinbarung ausschließlich der Sportschiedsgerichtsbarkeit unterwerfen und so vom Gang vor ein Zivilgericht ausgeschlossen sind. Der BGH entscheidet in seinem Urteil, ob die vom OLG München angenommene Klage Pechsteins bestätigt oder abgewiesen wird.
Worum geht es in dem Urteil?
Beantwortet werden muss die Frage: Darf ein Sportler auch vor ein Zivilgericht ziehen? Es geht streng rechtlich gesehen „nur“ um Zuständigkeiten. Sportler mussten sich bislang der Sportgerichtsbarkeit unterwerfen. Das OLG München sprach von mangelnder Entscheidungsmöglichkeit für Sportler.
Welche Wirkung kann das Urteil zugunsten Pechsteins haben?
Sollte der BGH ihr folgen, würde das Urteil eine Revolution für die Sportschiedsgerichtsbarkeit auslösen. Der US-Amerikaner Mike Morgan, Mitbegründer von Morgan Sports Law, sprach schon vor Wochen von „Schockwellen“, die ein solches Urteil senden würde. Das Prinzip allein zuständiger Sportschiedsgerichte wäre erschüttert. Der Sport verlöre sein Monopol auf seine juristischen Verfahren. Gewinnt Pechstein, könnten Sportler künftig wählen, ob sie vor den CAS oder ein nationales staatliches Gericht ziehen. Der Sport müsste sich rechtlich modernisieren, seine Verhandlungen ausgewogener gestalten.
Was heißt Modernisierung der Sportschiedsgerichte?
Pechstein will erreichen, dass Schiedsgerichte die gleiche rechtsstaatliche Basis bieten wie Zivilgerichte. Sie hat viel Unterstützung durch Sportler, Sportrechtler und Sportlergewerkschaften gefunden, die gleichfalls eine CAS-Reform anmahnen. Im Vordergrund steht dabei die Unabhängigkeit der CAS-Richter, die derzeit mehrheitlich von Verbänden bestimmt werden. So lange den Sportlern kein faires Verfahren eingeräumt werde, in dem bei neuen Beweisen auch die Wiederaufnahme des Verfahren möglich wird, fordert Pechstein das Recht, ein Zivilgericht anrufen zu dürfen. Davon könnte künftig alle Sportler profitieren.
Geht es in Karlsruhe auch um Millionen?
Nein. Vor dem BGH spielen die fünf Millionen Euro Schadenersatz, die Pechstein von der ISU fordert, noch keine Rolle. Weist der BGH die Revision der ISU zurück, wird das Oberlandesgericht München den Fall neu aufrollen und möglicherweise auch über Schadenersatz entscheiden.
Warum unterzieht sich Pechstein so einem solchen Prozess-Marathon?
„Wir werden erst aufhören, wenn wir tot sind oder wenn wir gewonnen haben“, sagte ihr Lebensgefährte Matthias Große vergangene Woche. Pechstein selbst betont, dass es ihr um Gerechtigkeit ginge. 2009 war sie ohne positiven Befund durch die ISU zu einer Doping-Sperre von zwei Jahren verurteilt worden. Einziges Indiz waren schwankende Retikulozytenwerte. Inzwischen ermittelten Hämatologen eine vom Vater geerbte Blutanomalie als Grund ihrer Werte. Nach eigener Aussage investierte sie schon 750 000 Euro in die Prozesse.
Wie konnte es im Fall Pechstein so weit kommen?
Im Sport wurde in zurückliegenden Jahren vieles falsch gemacht. Die Prozesse von Pechstein und anderen Sportler vor Sportgerichten wurden zu wenig kritisch beäugt. Kaum jemand stellte die Frage nach der Unabhängigkeit der Gerichte, speziell des CAS. Erst in den vergangenen Jahren hinterfragen immer mehr Sportrechtler die Zusammensetzung des CAS. Trotzdem nahmen Verbände weiter Einfluss auf die Wahl der Richter.