Kitzbühel-Sieger im Interview Olympia-Debütant Dreßen: „Ich traue mir selbst schon was zu“

Pyeongchang (dpa) - Seit seinem Sieg auf der Streif in Kitzbühel ist Thomas Dreßen Deutschlands neuer Ski-Liebling - und musste vor seinem ersten Olympia-Start am Sonntag lernen, mit der ungewohnten Aufmerksamkeit klar zu kommen.

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Eingeschüchtert ist der 24 Jahre alte Skirennfahrer vom SC Mittenwald aber keineswegs. Er hat viel Selbstvertrauen, nennt Beat Feuz und Aksel Lund Svindal als Favoriten, sagt im Interview der Deutschen Presse-Agentur aber auch: „Ich traue mir selbst schon was zu.“

Dritter in Beaver Creek, Fünfter in Wengen, der historische Sieg in Kitzbühel. Die Erwartungshaltung ist riesig, das Interesse an Ihnen auch. Ist das noch alles im grünen Bereich?

Thomas Dreßen: Direkt nach Kitzbühel haben wir probiert, es ruhig zu halten. Das war gut. Es gab nur zwei TV-Auftritte und keine weiteren Interviews. In Garmisch-Partenkirchen war es dann schon viel, auch danach. Da habe ich gemerkt, dass es brutal Stress gewesen ist.

Seit wann liegt der Fokus jetzt voll auf der Abfahrt?

Dreßen: Direkt nach Garmisch. Weil Olympia danach das nächste Rennen war. So ticke ich. Ich fühle mich richtig wohl, der Schnee ist ganz anders, aber ich mag das. Es ist ähnlich wie in Amerika.

Wer sind für Sie die Favoriten?

Dreßen: Ein Aksel Lund Svindal oder ein Beat Feuz, die sind klar vorne mit dabei. Ich würde mich da auch nicht rausnehmen. Ich traue mir selbst schon was zu. Aber das hängt natürlich mit meiner eigenen Leistung zusammen. Als Ziel hat man schon, dass man da ein gutes Ergebnis erreicht. Aber ich muss nicht. Sonst verkrampft man und ist nicht mehr locker. Es gibt insgesamt bestimmt 10 oder 15 Leute, die am Sonntag gewinnen können.

Es ist ungewöhnlich, dass Athleten sich von selbst zu den Favoriten zählen. Fällt ihnen das schwer?

Dreßen: Nein. Das ist ja nichts Unrealistisches. Hätte ich am Anfang der Saison gesagt, dass ich mich zu den Außenseiter-Favoriten zähle, dann hätte jeder gesagt, jetzt spinnt er komplett. Mittlerweile ist es aber nicht mehr so unrealistisch. Wenn man das selbst akzeptiert und sich in einer solchen Rolle sieht, fällt es einem auch nicht schwer, mit anderen darüber zu reden, die einen darauf ansprechen. Das ist ja auch eine Selbstvertrauens-Geschichte, gerade in der Abfahrt. Für mich ist das kein Problem. Als Außenseiter-Mitfavorit sehe ich mich schon - aber nicht an erster Stelle. Es gibt noch fünf, sechs andere, die ich vor mir sehe. Mein Ziel ist noch das gleiche.

Nämlich?

Dreßen: Meine Leistung abrufen. Ich bin in Kitzbühel auch nicht da gestanden und habe gesagt, ich will das Rennen gewinnen. Sondern da stand ich am Start und habe mir gesagt, jetzt hau' einen geilen Lauf runter und bring deine Leistung. Kurz vor dem Ziel habe ich schon gemerkt, das war das Maximum, mehr war nicht möglich an dem Tag. Wenn es dann so aus geht, dann ist es natürlich geil. Aber es gab auch davor schon Rennen, wo ich dachte: Mehr war nicht drin. Da muss man dann auch mit einem fünften oder dritten Platz zufrieden sein.

Nach den Eindrücken der ersten Trainings: Was erwarten Sie?

Dreßen: Entweder hat einer den Lauf seines Lebens und brennt eine Sekunde voraus, oder es wird ein Krimi. Ich glaube eher, dass es eine enge Geschichte wird.

Sind Sie besser geworden im Laufe der Saison oder haben Sie einfach mehr Selbstvertrauen inzwischen?

Dreßen: Besser? Die Konstanz ist da. Beim Fahren komme ich nie in einen Bereich, wo es an die Grenze geht und ich nicht weiß, was ich machen muss. Das läuft alles automatisch ab. Es ist logisch, dass das Selbstvertrauen groß ist. Ich bin auch lockerer geworden. Ich habe im Rennen keinen Stress mehr. Seit dem Sieg weiß ich einfach: Das, was ich kann, ist gut. Wenn ich das abrufe, dann passt das.

Wie wichtig ist Ihnen Selbstvertrauen?

Dreßen: Brutal wichtig. Wenn du kein Selbstvertrauen hast, dann fährst du nicht so, wie du besichtigt hast. Den Ski laufen lassen, das machst du nur, wenn du Selbstvertrauen hast.

Inwiefern wird die Kälte hier in Südkorea eine Rolle spielen?

Dreßen: Umso kälter es ist, desto aggressiver ist der Schnee. Ich hoffe es bleibt so kalt, ich komme damit gut zurecht. Ansonsten: Man hat halt eine Schicht mehr an.

Wo sehen Sie ihre Kollegen Andreas Sander und Josef Ferstl?

Dreßen: Auf gleicher Höhe. Beim Andi hat man gesehen, dass er halt immer den einen Fehler zu viel hatte. In Garmisch war er voll auf Siegkurs. Das ist bei ihm nur noch eine Frage der Zeit. Und der Pepi: Der hat diese Saison schon ein Rennen gewonnen. Dass er es voll drauf hat, weiß man auch. Ich sehe uns drei auf einer Stufe und wir haben alle das Zeug ganz vorne mitzufahren.

Das Rennen ist in Deutschland um drei Uhr morgens. Warum sollten die Leute trotzdem aufstehen und sich das anschauen?

Dreßen: Weil die Abfahrt die Königsdisziplin ist. Noch dazu haben wir drei Athleten, die vorne mitfahren können. Diese Situation hat es lange nicht gegeben in Deutschland. Allein das ist ein Grund, sich das anzuschauen. Und für uns ist es super, wenn uns viele Leute die Daumen drücken. Ich hoffe viele stehen auf und schalten ein.

Ihre Familie und ihre Freundin werden sicher aufstehen, sie sind hier in Südkorea nicht dabei. Warum ist Ihnen das so lieber?

Dreßen: Ich habe zu Ihnen gesagt: Das kostet einen Haufen Geld, hier her zu fliegen, das müsst ihr nicht machen. Wir sind hier auch nicht an einem Ort, wo es viel zu sehen gibt, außer unserem Rennen. Für ein Rennen eine so weite Reise und so viel Geld investieren? Da machen wir lieber im Sommer was zusammen.

Was bedeutet Olympia für Sie so ganz grundsätzlich?

Dreßen: Es gibt nichts größeres als Olympia. Ich bin stolz darauf, dass ich dabei bin und Deutschland vertreten darf.

ZUR PERSON: Dreßen hat im Januar als erster Deutscher nach 39 Jahren wieder die legendäre Abfahrt auf der Streif in Kitzbühel gewonnen. Zuvor war ihm bereits in Beaver Creek ein dritter Platz gelungen. Für die Abfahrt in Südkorea zählt er deswegen zu den Medaillenkandidaten.