SKI NORDISCH Alles auf Anfang bei den Austria-Adlern
Wie Heinz Kuttin das Skisprunghaus seiner Athleten auf dem Dachstein auf ein neues Fundament gestellt hat
Österreich. Heinz Kuttin weiß, was sich gehört und er weiß vor allem, dass in seinem Sport nichts selbstverständlich ist. Der 45-Jährige ist quasi der Joachim Löw Österreichs, nämlich der Cheftrainer der Superadler, der österreichischen Skispringer. Vor dem Pressegespräch in Engelberg, der letzten Weltcup-Station vor der am Freitag (16.45 Uhr/ZDF und Eurosport) mit der Qualifikation in Oberstdorf beginnenden Vierschanzentournee, dankt der lange Kärntner erst einmal für das Interesse an seinen Athleten. Der Besuch im Horst der ÖSV-Adler war in den vergangenen Jahren für jeden Tourneeberichterstatter Pflicht, stellten die Österreicher doch satte sieben Jahre den Gesamtsieger (siehe Hintergrund) — bis vergangenen Winter der Slowene Peter Prevc seine Sportart neu erfand.
Nach zwei Jahren im Amt machte Heinz Kuttin im Sommer eine Zäsur. Ja, man kann sagen, dass der Cheftrainer auf den Resetknopf drückte. Auf dem Dachstein-Gletscher wurde das Skisprung-Haus seiner Athleten auf ein neues Fundament gestellt. Mit Erfolg.
Heinz Kuttin hat seine 1,93 Meter in einen Sessel gefaltet und erklärt die Lage der (Skisprung-)Nation, erzählt von den Neuerungen. Die Strukturen wurden aufgebrochen: Mittlerweile gibt es vier transparente Trainingsgruppen, die sehr oft zusammen trainieren. So werden die Prozesse genutzt, die beim Austausch von Alt und Jung entstehen (Andreas Kofler: „Ein Junger versucht auch sein Bestes, aber ist nicht so verplant und so strukturiert, tut sich nicht alles in den Rucksack rein“). Im Krafttraining gehören zum körperlichen Training nicht nur Rumpfstabilisation und Bauchübungen dazu, sondern auch Sachen, „die wir Schwangerschaftsübungen nennen“, sagt Heinz Kuttin. „Wir horchen mehr in uns rein.“ Sie sind mit dem Wunsch schwanger gegangen, an alte Erfolge anzuknüpfen. Mit neuen Ideen. Mit neuen Reizen. Nicht ohne Risiko.
Im Windkanal Die Austria-Adler sind in der Vorbereitung erstmals im Windkanal von Audi gewesen. Und sie haben vor allem mehr Konstanz in ihre Anlaufgeschwindigkeit gebracht. Auf dem Dachstein. Im Mai. Nicht in einer präparierten Spur in der Anfahrtsposition, sondern einfach die Piste runter. „Ich musste wirklich kämpfen, dass ich da gut runterkomme“, sagt der 32 Jahre alte Routinier Andreas Kofler.
Alle haben sich verbessert, sagt Heinz Kuttin, vor allem Kofler und Michael Hayböck, um 0,5 bis zu einem Stundenkilometer. Kuttin meint: „Das ist fast so viel, wie wenn man eine Luke tiefer springt.“ Es geht (wieder) voran.
Wenn man Heinz Kuttin so reden hört, könnte man meinen, seine Athleten hätten seit dem Trainerwechsel im April 2014 von Alexander Pointner den Anschluss verpasst. Doch, es gab „ziemlich gute Erfolge“, sagt Kuttin. Aber auch „Stunden, die nicht so gut waren“.
Zur kurz zuvor in einer Kolumne geäußerten Kritik seines Vorgängers, der im Zusammenhang mit dem ÖSV-Horst von einer „Wohlfühloase“ sprach, in der es keine Ziele und keinen Siegeswillen gebe, will Heinz Kuttin nichts sagen. Das Ziel ist und bleibt, „spätestens bei der Heim-Weltmeisterschaft in Seefeld 2019 wieder top zu sein. Für jeden Tag, den es früher passiert, sind wir natürlich sehr dankbar.“
Nationencup Gut möglich, dass Kuttin seinen Zielen zwei Jahre voraus ist: Am Engelberg-Wochenende mit zwei Weltcup-Springen übernahmen seine Burschen (1369 Punkte) jedenfalls die Führung im Nationencup von den deutschen Kollegen (1359). Mit dem Sieg von Michael Hayböck und den Stockerlplatzierungen der ehemaligen Tourneesieger Andreas Kofler und Stefan Kraft haben sich seine Führungskräfte vor dem ersten Saisonhöhepunkt viel Selbstvertrauen geholt. Hayböck sagt stellvertretend: „Ich weiß jetzt einfach, dass ich es wieder drauf habe. Der Kofi mit seiner Vorgeschichte, ich mit meiner Vorgeschichte — das gibt dem ganzen Team einen Ruck.“
Kofler war im Sommer in der Trainingsgruppe zwei unterwegs, arbeitete viel an seiner Sprungstruktur. Und bekam erst bei den österreichischen Meisterschaften das Ticket für den Weltcup. Hayböck hatte zuletzt Schmerzen im Lenden-Bereich aufgrund eines Beckenschiefstandes, reduzierte sein Training radikal. Vor Engelberg wollte er so rasch wie möglich auf die Schanze zurück, doch „die Trainer haben mir das ausgeredet und gesagt, dass ich lieber schauen soll, körperlich wieder topfit zu werden“. Dann springt er in Engelberg und holt den ersten Saisonsieg. „Den haben wir jetzt abgehakt“, sagt Michael Hayböck.
Von den glorreichen Sieben aus dem Team ist bei der Tournee Stefan Kraft, Michael Hayböck und Andreas Kofler viel zuzutrauen. Zu was das reicht, wird die Hatz über die vier Schanzen zeigen. Sicher ist: In der Wohlfühloase sind alle gut drauf.
Die Austria-Adler haben mit sieben Siegen auf einen Streich bei der Vierschanzentournee Historisches geschafft — in sieben Jahren in Serie stellten sie den Gesamtsieger: Wolfgang Loitzl (2009), Andreas Kofler (2010), Thomas Morgenstern (2011), Gregor Schlierenzauer (2012 und 2013), Thomas Diethart (2014) und Stefan Kraft (2015). Der Österreichischen Skiverband (ÖSV) hat dank der Erfolge, die zuletzt im Continental-Cup errungen wurden, für diese Vierschanzentournee die maximal möglichen sieben Startplätze erkämpft. Der Kader besteht aus: Stefan Kraft, Manuel Fettner, Michael Hayböck, Andreas Kofler, Markus Schiffner, Elias Tollinger, Florian Altenburger. — für Schiffner, Tollinger und Altenburger ist es die erste vollständige Tourneeteilnahme.