Tournee-Trauma: DSV-Adler nicht reif für Triumph
Garmisch-Partenkirchen (dpa) - Am Morgen nach dem schlechtesten Tourneestart seit der Wiedervereinigung und dem abrupten Ende aller Siegträume hatte sich die Schockstarre bei den deutschen Skispringern ein wenig gelöst.
„Das war eine Ohrfeige“, bekannte Bundestrainer Werner Schuster. „Wir müssen das jetzt lösen, damit wir kein Tournee-Trauma kriegen.“ Einmal mehr sind die sportlichen Erben von Sven Hannawald, Jens Weißflog und Dieter Thoma, die allesamt bei der deutsch-österreichischen Traditionsveranstaltung triumphierten, kläglich gescheitert. „Wir stehen bei der Tournee ziemlich dämlich da, und das schon seit Jahren“, räumte Skiflug-Weltmeister Severin Freund kleinlaut ein.
Die Schanzen-Helden von einst waren entsprechend entsetzt. „Ich bin einmal mehr frustriert, weil ich weiß, dass sie es drauf haben“, erklärte Hannawald. „Severin war in Topform. Aber als es darauf ankam, hat er es wieder nicht hinbekommen. Ich verstehe das nicht“, haderte Thoma.
Warum die deutschen Springer bei der Tournee regelmäßig versagen, vermochte auch der Bundestrainer nicht zu erklären. So blieb ihm nur, die Symptome des Misserfolgs zu kommentieren. „Bei Severin war das tiefe Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten nicht da. Richard Freitag war angespannt von Kopf bis Fuß. Es ist beiden Jungs nicht gelungen, die innere Balance herzustellen“, sagte Schuster. „Sie wollten es bestmöglich machen, aber es ist komplett nach hinten losgegangen.“
Schon auf der nächtlichen Fahrt von Oberstdorf nach Garmisch-Partenkirchen, wo am Silvestertag die Qualifikation für das Neujahrsspringen ansteht, begannen die DSV-Adler mit der Aufarbeitung des Debakels. „Man kann es nicht mehr ändern. Jetzt gilt es, nach vorne zu schauen und es auf den nächsten drei Stationen besser zu machen“, sagte der brutal abgestürzte Mitfavorit Freund.
Als bester DSV-Springer landete er rund 37 Punkte hinter Auftaktsieger Stefan Kraft aus Österreich auf Rang 13. „Die Tournee-Gesamtwertung werden wir nicht mehr gewinnen“, stellte Schuster enttäuscht fest. „Aber ich glaube nicht, dass wir bis Bischofshofen kein Erfolgserlebnis haben. Das lassen wir nicht auf uns sitzen“, verkündete er kämpferisch.
Die sportliche Tristesse machte allerdings auch ihm sichtlich zu schaffen. „Wir hatten noch nie mit derart hoher Qualität ein so schlechtes Springen. Das unsere Spitzenleute so danebenhauen ist eine Katastrophe. Das war weit unter unseren Möglichkeiten und sehr enttäuschend“, bekannte Schuster und berichtete: „Severin ist extrem enttäuscht. Er weiß selber nicht, wie ihm das passieren konnte.“
Der Team-Olympiasieger und Richard Freitag hatten sich einiges ausgerechnet und dies auch öffentlich vertreten. Das ging nach hinten los. „Sie sind es deutlich offensiver angegangen, weil wir gesagt haben, wir haben die Qualität und können es schaffen. Wir wollen uns nicht immer verstecken. Sie sind auch gut reingekommen, aber im ersten Durchgang ist es gekippt“, analysierte Schuster.
Der schlechte Eindruck von Oberstdorf soll nun in Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck (4. Januar) und Bischofshofen (6. Januar) korrigiert werden. „Wir werden alles daransetzen, dass wir unsere Qualitäten auf den nächsten drei Stationen nachweisen. Ein Tagessieg wäre definitiv ein Erfolgserlebnis. Zweiter wäre auch ganz gut, Dritter ist ebenfalls nicht schlecht. Das haben wir schon lange nicht mehr erreicht“, formulierte Schuster das Ziel.
Nach dem olympischen Team-Gold von Sotschi hatte er seine Schützlinge einen Schritt weiter erwartet. Den Kopf im tiefen Schnee vergraben wollte Schuster angesichts des herben Rückschlags aber nicht: „Wenn wir das in den nächsten zwei, drei Jahren wirklich mal positiv gestalten wollen, müssen wir diese Tournee in den Einzelwettbewerben noch drehen. Das ist der Auftrag.“