Schönes Spiel, großes Geld Wirtschaftskriminalität im Fußball
Dortmund (dpa) - Vor knapp 46 Jahren verlor der deutsche Fußball seine Unschuld. Der so genannte Bundesliga-Skandal erschütterte das Vertrauen der Fans. Dutzende Profis hatten Spiel-Ergebnisse manipuliert.
Das romantische Bild der vermeintlich schönsten Nebensache der Welt war damit korrumpiert. Damaliges Schmiergeld pro Schalker Spieler für die Niederlage gegen Bielefeld: 2300 D-Mark. Im Rückblick eine fast lächerlich wirkende Summe. Seit 1971 haben sich die Gelder im Fußball-Business vervielfacht. Es ist ein Geschäft mit kaum greifbaren Zahlen.
Die Europäische Fußball-Union (UEFA) schüttet in der Spielzeit 2016/2017 erstmals einen Gesamtbetrag von über 1,3 Milliarden Euro aus. Der Umsatz der 18 Bundesliga-Clubs durchbrach in dieser Saison die Drei-Milliarden-Euro-Marke. Auch das eine Premiere.
Doch wie jeder Wirtschaftszweig lockt der Fußball mit seinen Millionen und Aber-Millionen Kriminelle an. Und auch für Angriffe von außen ist er anfällig, wie nun der Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund auf verstörende Weise deutlich macht. Ausgerechnet die Notierung als einziger deutscher Verein an der Börse macht den BVB zur Zielscheibe. Ein Attentat, dessen Auswirkungen weit über die Grenzen des Fußballs hinausgehen.
„Klar macht man sich Gedanken. Jeder, der etwas mit Gesellschaft und Welt zu tun hat, macht sich Gedanken“, formulierte Bayerns Weltmeister-Kapitän Philipp Lahm. „Das betrifft nicht nur uns Spieler, sondern jeden, der ins Stadion geht“, sagte der Unternehmer und Familienvater. In den deutschen Stadien sind nach dem Massaker von Paris und der Terrorwarnung beim Länderspiel in Hannover im November 2015 die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden.
Der Anschlag auf den BVB-Bus verstärkt nun wieder die Sorge. „Wir sind alle Menschen, das ist natürlich ganz beängstigend“, gestand Bayern-Star Arjen Robben. „Dann ist Fußball nicht mehr wichtig, dann geht es um ganz was anderes.“
Im Ausland stand der finanzstärkste Sport auch in der Vergangenheit immer wieder im Fokus der verbrecherischen Gier nach Geld. Der Kolumbianer Andrés Escobar stirbt in der Hauptstadt Medellín nach seinem Eigentor bei der WM 1994, ein Leibwächter und Fahrer für Top-Mitglieder des Drogenkartells wird wegen Mordes verurteilt. Drogenbarone aus dem südamerikanischen Land missbrauchten die heimischen Clubs zur Geldwäsche.
Doch auch systemimmanent ist der Fußball längst nicht vor kriminellen Handlungen gefeit. Die FIFA-Korruptionsaffäre um Bestechung, Erpressung und Geldwäsche hat inzwischen mehr als 40 Anklagen in den USA nach sich gezogen. Juventus Turin werden im vorigen Jahrzehnt zwei Meisterschaften wegen Bestechungsskandalen aberkannt.
Die Vergabe von Weltmeisterschaften ruft regelmäßig Ermittler auf den Plan. Im Jahr 2005 gibt der Schiedsrichter Robert Hoyzer zu, von ihm geleitete Spiele für Zuwendungen so beeinflusst zu haben, dass Teilnehmer an Sportwetten Gewinne einheimsen konnten. Wie selbstverständlich tauchen die Namen prominentester Weltstars in den Enthüllungen um die Panama Papers und Briefkastenfirmen auf. Eine Bewährungsstrafe wegen Steuerbetrugs mindert nicht die sportliche Popularität eines Lionel Messi.
Die Beispiele sind so unterschiedlich wie unzählbar. Ist der Fußball damit anfälliger als andere Gesellschaftssysteme? „Der Profifußball steht unter besonderer Beobachtung der Öffentlichkeit. Damit werden wirtschaftskriminelle Handlungen eher publik als in dem geschützten Umfeld der Wirtschaft“, analysiert der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Behringer in einem Aufsatz zum Thema „Compliance im Profifußball“. „Wenn wirtschaftskriminelle Handlungen auftreten, erhalten sie zudem eine weitaus größere Aufmerksamkeit als in anderen Bereichen.“
Welche Auswege gibt es aus dem Teufelskreis immer größerer Einnahmen und der Gefahr steigender Kriminalität? Die großen Verbände haben ihre Compliance-Offensive mit der Einrichtung von Ethikhütern bereits gestartet, der dauerhafte Nutzen muss sich beweisen. Die Jagd nach der Wettmafia läuft international - und gegen Windmühlen.
„Die Realität ist“, sagte Tony Higgins, Chef der schottischen Spielergewerkschaft, vor wenigen Jahren, „wenn wir zum Kopf der Schlange vorgedrungen sind, kommt eine andere, die Spielern, Schiedsrichtern und Clubs Geld anbietet.“ Erst vor zwei Wochen wurde bekannt, dass jeder der Profis eines spanischen Drittligisten 30 000 Euro für ein mutmaßlich absichtlich verlorenes Spiel bekommen haben soll.
Nach den jüngsten Entwicklungen rund um die Anschläge von Dortmund sagte Carlo Ancelotti, einst Trainer von Real Madrid oder dem AC Mailand und jetzt vom FC Bayern: „Leider gibt es verrückte Menschen. Es ist schwer, solche verrückte Menschen zu verstehen. Dortmund musste einen sehr traurigen Moment durchleben.“ Er hoffe, dass so etwas nie wieder im Sport vorkomme. Gerade der Sport solle den Menschen Freude bereiten. Das tut er - doch das Milliardenbusiness ist eben auch nur das Spiegelbild der Gesellschaft.