Flüchtlinge 100-Einwohner-Ort Sumte soll 1000 Flüchtlinge aufnehmen
Sumte (dpa) - Sumte: In gut 50 Sekunden ist man mit dem Auto durch, wenn man sich ans Tempolimit hält. Auf ihren rund 800 Metern schafft die Hauptstraße gerade drei Kurven, dann kommen wieder die Äcker und Alleen der flachen Elbmarsch.
Im Ort schöne alte Bauernhöfe, ein moosgrüner Plattenbau aus DDR-Zeiten, ein Feuerwehrhaus, eine Bushaltestelle. Keine Kneipe, kein Laden, ein Discounter schon gar nicht. Am Ortseingang weiden Pferde, gegenüber steht ein verlassener Bürokomplex. Bis zu 1000 Flüchtlinge sollen dort einziehen, das niedersächsische Innenministerium hat es auf einer Bürgerversammlung bestätigt, als Notunterkunft für ein Jahr.
„1000 Flüchtlinge sind zuviel für Sumte“, sagt Ortsvorsteher Christian Fabel (CDU). 200 bis 300 seien eine vertretbare Größe. „Der nächste Supermarkt ist in Neuhaus, das ist vier Kilometer entfernt - und das für tausend Flüchtlinge. Nahverkehr gibt es kaum, der Bus fährt nur selten - wir leben hier am Arsch der Welt.“
Dreimal am Tag fährt der Bus nach Neuhaus, wie ein Blick auf den Fahrplan zeigt, fünfmal am Tag nach Neu Bleckede. Von da geht es mit der Fähre ans andere Ufer der Elbe, wenn sie denn fährt. Nachts fährt sie nicht, auch bei Eisgang, Hochwasser oder zu niedrigen Pegelständen bleiben nur lange Umwege.
Nach der Wiedervereinigung ist das Gebiet, das in der DDR lag, von Mecklenburg-Vorpommern wieder zu einem Teil Niedersachsens geworden. Die Gemeinde Amt Neuhaus ist der abgelegene Teil des Landkreises Lüneburg am nordöstlichen Elbufer.
„Das kann zu einer gewaltigen Belastung für den Ort werden“, sagt Grit Richter, Bürgermeisterin der Gemeinde mit knapp 4800 Einwohnern. „Das ist eine Herausforderung - für 1000 Menschen muss die Infrastruktur geschaffen werden, das betrifft zum Beispiel auch das Abwasser“, sagt die parteilose Politikerin.
Ortsvorsteher Christian Fabel wird deutlicher. „Die Belastung von 1000 Flüchtlingen für ein Dorf mit nur 102 Einwohnern ist völlig unverhältnismäßig - das dürfte mit keinem anderen Ort in Deutschland zu vergleichen sein.“ Es gehe nicht um Fremdenfeindlichkeit, betont er. „Ich bin selbst in einem Verein, wo wir mit Flüchtlingen arbeiten, das ist nicht das Thema.“ Doch fühlten sich die Leute von dem Vorhaben völlig überrollt.
„Die Flüchtlinge werden sich hier frei bewegen, und unsere Häuser und Höfe sind teilweise nicht entsprechend umzäunt“, sagt Fabel. Infotafeln mit Verhaltensregeln in verschiedenen Sprachen könnten da helfen, meint er. Auch ärztliche Untersuchungen seien wichtig, zum Schutz der Flüchtlinge und der Bürger. „Wie soll die Bevölkerung sich, ihre Häuser und Höfe schützen, wer trägt die Kosten“, fragt er.
„Es muss eine ständig ansprechbare Stelle für die Bürger geben, gerade wenn ältere Einwohner verunsichert sein sollten“, hat Fabel schon vor Tagen gefordert. „Wir brauchen Wachpersonal am Objekt, und die Polizei muss aufgestockt werden. In der Gemeinde haben wir nur vier Polizisten in Neuhaus und die Station ist auch nicht ständig besetzt, das muss sich ändern.“
„Ich begrüße es, dass Leute herkommen, dass die Häuser bewohnt werden“, sagt Reinhold Schlemmer. Er hat sein Häuschen direkt an der Zufahrt zu dem 2012 aufgegebenen Bürokomplex. Er teile aber die Bedenken von Fabel, betont der 72-Jährige. „Gut und schön, dass wir alle helfen können, aber nicht gleich 1000 Leute“, meint auch Nachbarin Anika Venz. „Das sind ja ganz schön viele, man weiß ja nicht, wie sie drauf sind“, sagt die 24-Jährige. „Anfangs sind sie vielleicht erstmal ruhig, und später, wenn sie eingelebt sind, dann geht es rund, und sie machen was sie wollen.“
„Die Sorgen sind groß“, weiß Alexander Götz, Leiter der Abteilung Kommunales im niedersächsischen Innenministerium. „Wir werden noch sehr viel Erklärungsarbeit leisten und auch noch um Verständnis werben müssen“, sagt er nach der Versammlung. Doch Niedersachsen habe derzeit bis zu 1500 Menschen pro Tag unterzubringen. Daher müssten alle Möglichkeiten geprüft und genutzt werden.
„Die Straßenbeleuchtung soll auch nachts brennen, fehlende Lampen werden erneuert“, berichtet Fabel nach der Bürgerversammlung. Die Polizei werde personell aufgestockt, es solle häufige Kontrollfahrten geben. „Leider ist keine Polizeistation am Camp vorgesehen“, bedauert er. „Noch sind viele unserer Fragen unbeantwortet.“
Kurz vor der Versammlung hat Ortsvorsteher Fabel noch mit Journalisten vor dem Bürodorf am Ortseingang gesprochen. Was er von der Flüchtlingspolitik seiner Parteivorsitzenden, Bundeskanzlerin Angela Merkel halte, fragt einer. Fabel schaut kurz nach oben in den klaren Herbsthimmel. „Ich hoffe, dass sie etwas weiß, was ich nicht weiß“, sagt er dann diplomatisch.