AKW-Stresstest: Risiken bei Flugzeugabstürzen
Berlin (dpa) - Das endgültige Aus für die ältesten sieben Atomkraftwerke in Deutschland rückt näher, da sie einem größeren Flugzeugabsturz nicht standhalten können.
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) deutete am Dienstag bei der Vorlage des Prüfberichts der Reaktorsicherheitskommission das Abschalten derjenigen Atomkraftwerke an, die nicht oder nur geringfügig gegen solche Szenarien gesichert sind. Die Opposition und zahlreiche Umweltverbände kritisierten den Prüfbericht.
Besonders die Meiler Biblis A und B sowie Brunsbüttel und Philippsburg I hätten „keine nachgewiesene Sicherheitsauslegung“ für diese Fälle, sagte Röttgen in Berlin. Die Kommission selbst gab keine Empfehlung für das Abschalten einzelner AKW ab.
Insgesamt verfügten die sieben ältesten AKW über keinen oder nur einen geringen Schutz etwa gegen Terrorattacken aus der Luft, sagte Röttgen. Davor könne die Politik nicht die Augen verschließen, daran müsse die Entscheidung anknüpfen.
Damit könnten alle sieben im Rahmen des Moratoriums seit Mitte März stillstehenden Meiler nicht wieder ans Netz gehen dürfen. Keines der 17 deutschen AKW erfüllt nach dem Bericht in allen Prüfkriterien die höchsten Anforderungen.
Die Prüfung nach der Katastrophe im japanischen Fukushima habe Klarheit über die Risiken der einzelnen Meiler ergeben, sagte Röttgen. Manches Kraftwerk erfülle in einzelnen Prüfbereichen die höchsten Sicherheitsanforderungen (Level 3), in anderen dagegen nur die niedrigsten (Level 1).
Die Prüfung habe aber kein Argument geliefert, weswegen man in Deutschland aus sicherheitsrelevanten Gründen „Hals über Kopf“ aus der Kernenergie aussteigen müsse. Es bleibe aber bei dem Ziel eines schnellstmöglichen Ende der Atomkraft.
Der RSK-Vorsitzende Rudolf Wieland sagte: „Es gibt keine Anlage, die komplett überall Level 3 erreicht. Es gibt auch, glaube ich, keine Anlage, die durchgängig Level 2 erreicht.“ Er räumte ein, dass die Untersuchungen wegen der Kürze der Zeit - seit April hatten 100 Atomexperten die Meiler untersucht - unvollständig seien. An vielen Stellen gebe es noch Untersuchungsbedarf.
Es gebe keine Hinweise darauf, dass Störfälle wie in Fukushima mit einem Ausfall der Notstromversorgung und der Notkühlsysteme für deutsche Meiler unterstellt werden könnten, sagte Wieland. „In der Summe kann ich sagen: Es gibt einen großen Robustheitsgrad.“ Dies gelte auch für ältere Meiler, bei denen es Nachrüstungen an den Notsystemen gegeben habe.
Röttgen räumte erneut ein, dass kein Atomkraftwerk in Deutschland gegen den Absturz eines großen Verkehrsflugzeugs gesichert ist. „Die Stufe drei - schwerste Flugzeuge - diese Schutzstufe wird von keinem Kernkraftwerk erreicht.“
Die sieben ältesten Meiler können angesichts zu dünner Hüllen fast durchgängig auch dem Absturz mittelgroßer Flugzeuge - etwa vom Typ Phantom - nicht standhalten. Der Minister sagte, dass die Entscheidung über die Abschaltung im Bundestag getroffen werde und nicht in Verhandlungen mit den Energiekonzernen. „Das ist eine genuin politische Entscheidung“, betonte Röttgen.
Der Minister sagte, das Risiko bei Flugzeugabstürzen sei nicht neu. Dennoch hatten Union und FDP im Herbst eine Laufzeitverlängerung beschlossen. Die schleswig-holsteinische Atomaufsicht kritisierte das knappe Zeitfenster bei der Prüfung. Viele Angaben kamen von den Betreibern und konnten nur bedingt überprüft werden. Röttgen räumte ein: „Um alle Fragen zu beantworten, bräuchte man zwei Jahre.“
Prüfkriterien der RSK waren neben dem Schutz vor Flugzeugabstürzen die Erdbebensicherheit, der Sicherheit bei Hochwasser oder beim Ausfall der Kühlung oder des Notstromsystems sowie Attacken aus dem Internet, sogenannte Cyberattacken. Die Ergebnisse sollen wesentliche Grundlage für die Abschaltentscheidungen der Bundesregierung im Rahmen der geplanten Energiewende sein.
Das neue Atomgesetz, das die Restlaufzeiten der AKW festlegt, soll am 6. Juni vom Kabinett verabschiedet werden. Nach dem Atomunfall in Fukushima hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die sieben ältesten Anlagen vorübergehend stilllegen lassen. Zudem blieb das ohnehin nach Pannen abgeschaltete AKW Krümmel vom Netz. CSU-Chef Horst Seehofer erkor den schnellen Atomausstieg zur Schicksalsfrage für die CSU. Fachlich sei er „total überzeugt“, dass dieser machbar sei.
Die früheren Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) kritisierten, für eine richtige Prüfung bräuchte man bis zu anderthalb Jahre. Trittin nannte das Ergebnis „schockierend“. Deshalb sei es verwunderlich, dass Röttgen eine klare Aussage scheue.
Die Linke-Politikerin Dorothée Menzner monierte die Arbeit der RSK. Sie zeige, „dass der Filz der Atomlobby immer noch soweit in Regierungskreise hineinreicht, dass eine unabhängige Bewertung der Sicherheit von Atomkraftwerken unmöglich ist“.