Erdbeben in Italien „Alles, was wir hatten, ist weg“
Amatrice (dpa) - Feuerwehrmänner, Rettungshunde und Freiwillige suchen in dem abgelegenen italienischen Dorf Amatrice verzweifelt nach Überlebenden. „Das ist eine Stadt, die komplett zerstört wurde“, sagt der Helfer Federico Rossi.
Sein Bruder Giulio ergänzt: „Wir haben so viele Freunde und Bekannte verloren.“ Um sie herum stehen Menschen, die weinen, sich trösten und umarmen.
Hubschrauber kreisen über dem Ort in den Bergen des Apennin-Massivs. Im Hintergrund liegen die Toten, bedeckt von weißen Decken. Mehr als 120 sind es am Abend - und immer noch werden Dutzende vermisst. Die Zahl der Opfer sei noch nicht endgültig, sagt Regierungschef Matteo Renzi bei einem Besuch in der Region. Allein die Identifizierung der Toten gestalte sich schwierig. „Wir arbeiten daran.“
Bisher war Amatrice vor allem bekannt für das Pastagericht „Amatriciana“ mit Speck, Tomaten und Pecorino-Käse. Nun sieht man in den Medien überall Bilder von der Verwüstung. Das Erdbeben machte Teile des Städtchens mit etwa 2600 Einwohnern quasi dem Erdboden gleich. Viele der Toten sind hier zu beklagen. In der Gegend sind außerdem viele Feriengäste und Touristen - während sie in den Wintermonaten eher verlassen ist, seien in den Sommermonaten bis zu 20 000 Menschen dort, sagt der frühere Bürgermeister von Amatrice, Carlo Fedeli. Der Nationalpark Gran Sasso und Monti della Laga ist beliebt bei Wanderern und Fahrradfahrern.
Viele Einwohner sind zu traumatisiert, um mit den Reportern vor Ort zu sprechen. „Hier ist nichts übrig geblieben, alles, was wir hatten, ist weg“, hört man eine Frau sagen, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter auf einem Spielplatz hockt. Helfer bringen Essen. Viele sind nun obdachlos, die Angst vor Plünderern geht um. Und Nachbeben setzen den Menschen weiter zu.
„Ich weiß nicht, wie ich überlebt habe“, sagt die ältere Frau Serafina Pierini, die sich noch an ein Erdbeben hier in den 50er Jahren erinnern kann. „Mein Sohn hat mich gerettet, ein Fenster eingeschlagen und mich auf einer Leiter Schritt für Schritt herausgetragen.“
Der Ort ist rund 30 Kilometer Luftlinie entfernt von L'Aquila, wo im April 2009 ein Beben von etwa der selben Stärke 300 Menschen in den Tod riss, und die Stadt und viele Dörfer in der Gegend zerstörte. Die Bilder von den Orten, von denen nur noch Trümmerhaufen übrig geblieben sind, verheißen nichts Gutes. Befürchtet wird Schlimmeres. Auch mehrere Kinder sind unter den Toten.
Mitten in der Nacht wurden die Bewohner von dem Erdstoß einer Stärke von über 6 aus dem Schlaf gerissen. Selbst im rund 100 Kilometer Luftlinie entfernten Rom schwankten die Böden, Bewohner liefen auch dort nach draußen. Auch in Ancona, Bologna und selbst in Neapel war das Beben zu spüren, hieß es am Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV). 1997 hatte es schon mal ein schweres Erdbeben ganz in der Nähe gegeben, in Umbrien. Damals kamen zwölf Menschen ums Leben, Kulturschätze wie die Basilika San Francesco in Assisi wurden schwer beschädigt.
Es sind diese schrecklichen Bilder, die sich in Italien in die Erinnerung eingebrannt haben - ein Land, das immer wieder von Erdbeben heimgesucht wird. Und die Bilder erinnern auch an das Versagen der Behörden, was Erdbebenhilfe angeht. Viele der Häuser in den besonders betroffenen Orten Amatrice, Accumoli und Pescara del Tronto sind Jahrhunderte alt, die Bausubstanz ist marode. Sie sind alles andere als erdbebensicher - da viele denkmalgeschützt sind, ist es schwierig, das umzusetzen.
„Das, was wir in L'Aquila vor Jahren gesehen haben, ist nun hier geschehen“, sagte der Bürgermeister von Amatrice, Sergio Pirozzi.
L'Aquila steht für ein sehr unrühmliches Kapitel der italienischen Regierung. So riet der damalige italienische Regierungschef Silvio Berlusconi den obdachlosen Erdbebenopfern, die Zeit in den Zeltstädten als Urlaub zu sehen. Es sei ja „wie beim Campen“. Der Aufbau der Stadt ist bisher immer noch nicht annähernd abgeschlossen, das Zentrum gleicht einer Geisterstadt: Mafiaverwicklungen, Veruntreuung öffentlicher Gelder.
Die Bewohner der Bergregion können nun nur hoffen, dass der jetzige Regierungschef Matteo Renzi die Lage besser im Griff hat. In Italien passiere ungefähr alle 15 Jahre ein Erdbeben mit mehr als Stärke 6,3, sagte Fabio Tortorici, Präsident des nationalen Geologen-Rates. „Das heißt, dass es eine größere Kultur der Prävention und des Zivilschutzes geben muss.“