Alltagstest für die „Willkommenskultur“ in Deutschland

Berlin (dpa) - Statt Turngeräten stehen in vielen deutschen Sporthallen reihenweise Feldbetten. Der Sportunterricht fällt auf Zeit aus, Wettkämpfe werden abgesagt, Stundenpläne umgeschrieben.

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Über die Sommerferien waren die Hallen eine schnelle Lösung, nun müssen aber neue Unterkünfte gefunden werden, meinen Eltern und Funktionäre landauf, landab. „Sporthallen sind in vielen Städten sowieso kein Überfluss“, klagt etwa der Präsident des Landessportverbands Baden-Württemberg, Dieter Schmidt-Volkmar.

Bei aller Hilfsbereitschaft und Solidarität mit Flüchtlingen: Die Stimmung in der Bevölkerung könnte schnell kippen, warnt die Migrationsforscherin Naika Foroutan von der Humboldt-Universität in Berlin. „Es fehlen noch stabile Strukturen, um diesen Wandel auch dauerhaft zu verankern.“

Herausforderung oder Chance - Politiker und Fachleute bewerten die Ankunft Hunderttausender Flüchtlinge in Deutschland mit großen Worten. Das Land werde sich wandeln. Wie genau, weiß noch keiner. Aber kurzfristige Veränderungen in ihrem Alltag spüren viele Menschen schon jetzt, sagt Forscherin Foroutan.

Eines der drängendsten Probleme: Der Mangel an preiswerten Wohnungen, nicht nur in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München. „Die Flüchtlinge verschärfen die Situation“, berichtet eine Sprecherin der Inneren Mission in Bremen, die sich dafür einsetzt, dass sozial schwache Menschen bezahlbare Wohnungen finden.

Die Neuankömmlinge brauchen Jobs, um sich möglichst schnell in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, da sind sich viele einig. Diese Herausforderung könnte ihrerseits neue Chancen für Langzeitarbeitslose oder Rentner schaffen, sagt Wissenschaftlerin Foroutan. Gesucht werden Dolmetscher, Krankenpfleger, Lehrer oder auch Entscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). „Das werden in den meisten Fällen Quereinsteiger sein. Unser Jobmarkt wird sich deutlich verändern.“

Nicht nur am Wohnungs- oder Arbeitsmarkt wird es eng. Einige Kliniken haben bereits Sorge, durch die Ankunft der Flüchtlinge an Grenzen zu stoßen. Zum Beispiel in München. Hier gibt es - auch im Kreißsaal - zu wenig Personal. Besonders Hebammen werden benötigt. Jedoch: „Die Engpässe hätten wir auch ohne die Flüchtlinge“, sagt ein Sprecher der Städtischen Kliniken. Aber das Problem werde jetzt noch offensichtlicher.

Bettennot auch andernorts: In einigen Möbelhäusern werden Doppelstockbetten, Matratzen oder günstige Decken für alle Kunden knapp. Die Möbelkette Ikea fand jedoch schnell eine Lösung. „Wir arbeiten jetzt verstärkt mit Logistikzentren aus den Nachbarländern zusammen, damit wir die Nachfrage decken können“, sagt die Ikea-Sprecherin.

Mancherorts befürchten Drogeriemärkte, leergekauft zu werden. Helfer besorgen kartonweise Zahnpasta, Windeln oder Shampoo für die ankommenden Flüchtlinge. „Nur in haushaltsüblichen Mengen kaufen“, plakatierte ein Geschäft in Thüringen bereits im Eingangsbereich - und verweist an Großmärkte. Diana Henniges vom Berliner Verein „Moabit Hilft“ hat Verständnis: Die Geschäfte machten das, „damit auch genug für andere Kunden da ist und diese nicht zur Konkurrenz gehen“, erklärt sie.

Migrationsforscherin Foroutan hat bereits einen weitergehenden sozialen Wandel registriert: „Leute, die vorher als Migranten am Rande der Integration standen, bekommen nun ein Selbstbewusstsein als Helfer.“ Viele, die selbst eine neue Heimat in Deutschland gefunden haben, unterstützen die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft.

So erfahren auch Moscheen durch ihre Hilfsbereitschaft einen fundamentalen Statuswandel in Deutschland. „Sie sind vorher jahrelang als suspekt betrachtet worden, jetzt sind sie als Helfer mitten in der Gesellschaft angekommen“, sagt Foroutan.

Deutschland wird internationaler - auch im Kleinen. So haben die Berliner Verkehrsbetriebe jetzt ihre Buspläne den Bedürfnissen der Flüchtlinge angepasst. Rund 5000 Fahrpläne auf Arabisch wurden verteilt. „Orientierung ist wichtig und soll für die Flüchtlinge sichtbar sein“, sagt ein Sprecher. Und zwischen Behörden und Unterkünften fahren jetzt Sonderbusse - damit die normalen Routen entlastet werden.