Analyse: Ägypten wird für Israelis zum Reizwort

Tel Aviv (dpa) - Je länger die Unruhen in Ägypten dauern, desto nervöser reagieren die Israelis. Eine große Mehrheit hat Angst vor einem Wandel, weil nicht klar ist, wer im Nachbarland die Macht übernimmt.

Ministerpräsident Netanjahu setzt auf die Stärke der eigenen Streitkräfte.

Sentimentale Gefühle für Husni Mubarak, große Wut auf Barack Obama und gewaltige Angst vor der Muslimbruderschaft: Mehr als eine Woche nach Beginn der blutigen Unruhen in Ägypten scheint die Lagerbildung der jüdischen Israelis abgeschlossen. „Mubarak wird vermisst“, titelte die linksliberale Tageszeitung „Haaretz“.

65 Prozent der Israelis glauben nach einer Umfrage der Tageszeitung „Jediot Achronot“, dass sich der Fall Mubaraks negativ auf Israel auswirken wird. Nur ganze elf Prozent sehen den Wandel positiv. Eine Mehrheit von 59 Prozent rechnet damit, dass im Nachbarland ein islamistisches Regime an die Macht kommt. Immerhin 21 Prozent hoffen, dass die künftige Regierung sowohl säkular als auch demokratisch sein wird.

Efraim Inbar, Direktor des Begin-Sadat-Zentrums für strategische Studien, spricht aus, was wohl die übergroße Mehrheit jüdischer Israelis denkt: „Wir haben Angst, dass die Muslimbruderschaft die Macht übernimmt und dass der Friedensvertrag annulliert wird.“ Inbar reflektiert auch die Wut vieler Israelis auf die US-Regierung. Die Reaktion von US-Präsident Barack Obama nennt er „kindlich und naiv“. „Sie (die US-Regierung) glaubt an einen Übergang zu einem demokratischen Regime in Ägypten. Sie sollte es besser wissen. Der Übergang zu einer Demokratie ist ein historischer Prozess, der Jahrzehnte dauert. Und Ägypten ist wie die meisten arabischen Länder nicht reif dafür.“

Der Alt-Linke Uri Avnery wirft in die Debatte ein, dass es mit der ägyptischen Bevölkerung - anders als mit der ägyptischen Regierung - solange keinen wahren Frieden geben wird, bis Israel Frieden mit den Palästinensern geschlossen hat. Allerdings ist Avnery ebenso wie der linke Kommentator Gideon Levy eine Außenseiterstimme. Levy kritisiert in der „Haaretz“ Panikmache: „Die Ereignisse da drüben werden uns hauptsächlich von Generälen und Militärkorrespondenten erklärt, als ob Ägypten noch Feindesland ist. Alles wird mit roten Alarmleuchten präsentiert. Danach übernimmt die Muslimbruderschaft nicht nur Ägypten, sondern marschiert bereits in Richtung Israel.“ Statt die Chancen zu erkunden, schwelge man in Israel in den Gefahren.

Seit Tagen schüren einige israelische Kommentatoren Angst vor der Muslimbruderschaft. Ein Interview, das deren Sprecher Mohammed Mursi dem US-Fernsehsender CNN gab, machte am Freitag sofort die Runde. Mursi wich einer klaren Antwort auf die Frage aus, ob seine Organisation den Friedensvertrag mit Israel einhalten wolle. Das sei Aufgabe des ägyptischen Parlaments, das den Willen der Menschen widerspiegeln werde. „Wir haben nichts gegen Juden, sondern gegen Zionismus“, sagte Mursi. Andere Aussagen, dass die Bruderschaft Gewalt ablehne, keine Verbindung zum Terrornetzwerk Al-Kaida pflege und für Presse- und Religionsfreiheit eintrete, fielen in der Berichterstattung in Israel erst einmal durch.

Außenamtssprecher Jigal Palmor will Äußerungen der Muslimbrüder gar nicht erst kommentieren. Regierungsmitarbeiter vermitteln unter vier Augen jedoch den Eindruck, dass sie manche Dinge lockerer sehen als die Bevölkerung. Der Friedensvertrag sei nicht nur für Israel, sondern auch für Ägypten von großem Vorteil und dies solle jeder, der über das Schicksal Ägyptens entscheiden werde, im Auge behalten, sagt ein Regierungsvertreter.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stimmte seine Landsleute in einer Rede vor dem Parlament bereits auf den Wandel ein. „Die Grundlage für unsere Stabilität und Zukunft, für die Bewahrung oder Ausdehnung von Frieden insbesondere in unsteten Zeiten, ist es, unsere Macht zu verstärken. Das erfordert Sicherheit, aber auch, dass wir ehrlich zu uns selbst sind“, sagte Netanjahu.