Analyse: Amerikas Dauer-Zoff um Schulden

Washington/Berlin (dpa) - Am Ende ging nichts mehr. So sehr hatten sich vor 16 Jahren US-Präsident Bill Clinton und die republikanische Führung des Kongresses um Haushalt und Schuldenlimit ineinander verbissen, dass die Regierung einfach dichtmachte.

Für insgesamt 26 Tage wurden hunderttausende Staatsbedienstete zwischen November 1995 und Januar 1996 in den Zwangsurlaub geschickt.

Zwar war der Konflikt damals kein exakter Vorläufer des gegenwärtigen Gezerres in Washington. Doch damals wie heute ging es um Konservative, die massiv die Sparaxt am Sozialstaat ansetzen wollten und die Schuldenobergrenze, die mal wieder vom Kongress angehoben werden musste.

Schon ein paar Mal kam die weltgrößte Volkswirtschaft einer Zahlungsunfähigkeit gefährlich nahe, fanden die Rechercheure der unabhängigen US-Webseite „factcheck.org“ heraus, die Politikeraussagen auf ihren Wahrheitsgehalt abklopfen. Damit widersprechen sie dem Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses, Dan Pfeiffer, der unlängst erklärte, für die Vereinigten Staaten sei es in ihrer über 200-jährigen Geschichte noch nie so knapp gewesen.

Zuletzt war es in der ersten Amtszeit von George W. Bush soweit: Im Mai 2002 kamen die USA bis auf 15 Millionen Dollar an die damalige Schuldenschallmauer von rund 5,6 Billionen Dollar heran - in der Folge griff das Finanzministerium wie heute zu „außergewöhnlichen Maßnahmen“. Ein Datum für den Staatsbankrott gab es auch, den 28. Juni. In letzter Minute hob der Kongress die Grenze auf 6,4 Billionen Dollar an, mit einer Stimme Mehrheit im Abgeordnetenhaus.

Schon im Jahr darauf musste das Finanzministerium erneut zu Manövern greifen, um den Sprung über das Schuldenlimit zu verhindern, ermittelte „factcheck.org“. Im Mai wurde die Grenze auf 7,4 Billionen Dollar erhöht - fast fünf Monate nachdem das Finanzministerium erstmals vor der drohenden Staatspleite gewarnt hatte. Und 2004 dann konnte sich der Kongress erst am 18. November auf eine neuerliche Anhebung einigen.

Im Gedächtnis geblieben ist aber vor allem die Episode des „Government shutdown“ um die Jahreswende 1995/1996. Unter Führung von Newt Gingrich (Repräsentantenhaus) und Bob Dole (Senat) hatten Republikaner unter anderem drastische Einschnitte in der Gesundheitsversorgung, der Bildung und der Umweltpolitik verlangt, um das Staatsdefizit zu reduzieren. Beide Politiker hofften, im Präsidentschaftswahlkampf 1996 gegen Clinton anzutreten.

Der Zwangsurlaub für hunderttausende Staatsbedienstete hatte dramatische Folgen. Wer keine überlebensnotwendigen oder sicherheitsrelevanten Aufgaben zu erfüllen hatte, wurde ohne Bezahlung freigestellt. Da es keine Einigung über einen Haushalt gab, fehlte schlicht die Grundlage für die Zahlung der Gehälter im öffentlichen Dienst. Neue Krankenversicherungs- und Sozialhilfeanträge wurden in dieser Zeit nicht bearbeitet, Giftmülldeponien nicht überwacht.

Auch damals verweigerten sich die Republikaner im Kongress einer Anhebung des Schuldenlimits - woraufhin ein gefährlicher Flirt mit der Zahlungsunfähigkeit folgte, wie D'Angelo Gore von „factcheck.org“ schreibt. Wieder war es die Stunde des Finanzministeriums, das mit allerlei Tricks das Äußerte hinauszögerte. Bis sich Parlament und Präsident erst im März 1996 auf die Anhebung des Limits von 4,9 Billionen auf 5,5 Billionen Dollar schließlich einigten.

Sich selber hatten die Konservativen mit ihrem Kurs einen Bärendienst erwiesen. Statt in der Wählergunst zu steigen, profitierte am Ende vor allem Präsident Clinton - dessen Umfragewerte inmitten des „Shutdown“ jedoch gelitten hatten. Kürzungsvorschläge der Republikaner hatte er mit seinem Veto abgeschmettert. „Amerika kann nie unter Druck akzeptieren, was es nicht in freier und offener Debatte akzeptieren würde“, erklärte er - und die Amerikaner mochten es. Im November bestätigten sie Clinton mit großer Mehrheit im Amt.

Die Lektion ist den Akteuren von heute noch höchst präsent. „Wir wussten, dass der Government Shutdown von 1995 uns nicht helfen würde“, meinte unlängst der republikanische Fraktionschef im Senat, Mitch McConnell. „Er hat Bill Clinton geholfen, wiedergewählt zu werden. Ich weigere mich, Barack Obama zur Wiederwahl zu verhelfen.“