Analyse: Ankara riskiert den Bruch mit Israel

Istanbul/Tel Aviv (dpa) - Lange Zeit unterhielten die Türkei und Israel exzellente Beziehungen. Die militärische Zusammenarbeit zwischen der islamisch geprägten Türkei und dem jüdischen Staat sorgte bei vielen für Verwunderung.

Das hat sich geändert - in den Beziehungen der beiden Länder bricht eine Eiszeit an. Scharf reagierte Ankara auf einen lange erwarteten und jetzt von der „New York Times“ veröffentlichten Bericht, in dem die Vereinten Nationen eine eindeutige Verurteilung Israels wegen des Angriffs auf die Gaza-Hilfsflotte vor 15 Monaten unterlassen und das israelische Vorgehen weitgehend als legal bezeichnen.

Der israelische Botschafter Gabi Levy, der sich zurzeit in Israel aufhält, darf nicht zurück. Mehrere andere israelische Diplomaten müssen die Türkei bis Mittwoch verlassen. Auch die diplomatische Vertretung der Türkei in Israel werde weiter zurückgestuft, hieß es.

Zudem schwingt Ankara die finanzielle Keule gegen Israel. „Alle türkisch-israelischen Militärabkommen werden ausgesetzt“, sagte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu am Freitag. Sie hatten israelischen Rüstungsfirmen in der Vergangenheit millionenschwere Aufträge beschert.

Nicht die Rede war vorerst von den Handelsbeziehungen mit zivilen Gütern. Nach Angaben des israelischen Verbandes der Handelskammern belief sich der bilaterale Handel im ersten Halbjahr 2011 auf umgerechnet etwa 1,4 Milliarden Euro, 2010 machte er 2,6 Prozent des gesamten israelischen Außenhandels aus. Für die Türkei stehen auch erhebliche Einnahmen aus dem Geschäft mit israelischen Touristen auf dem Spiel.

Aber Israel kommen die Probleme mit der Türkei auch aus anderen Gründen denkbar ungelegen. Wirkliche Erleichterung über den UN-Bericht war denn auch in Tel Aviv nicht zu verspüren. „Israel akzeptiert den Bericht. Die Regierung hat versucht, die Krise auszuräumen, leider ohne Erfolg“, sagte ein ranghoher israelischer Diplomat der Nachrichtenagentur dpa.

Der Streit mit dem Nato-Land Türkei isoliert den kleinen jüdischen Staat noch weiter in einer Region, in der er ohnehin nicht viele Freunde hat. Ägyptens Husni Mubarak ist schon dem „arabischen Frühling“ zum Opfer gefallen, und in Syrien könnte Israel mit Präsident Baschar al-Assad schon bald einen weiteren „Stabilitätsfaktor“ in der Region verlieren.

Unterdessen versuchte die Regierung in Ankara, den UN-Bericht, dessen Veröffentlichung sie zuvor immer gefordert hatte, möglichst kleinzureden. Die Türkei betrachte die ganze UN-Untersuchung als null und nichtig, betonte Staatspräsident Abdullah Gül. Bis hart an den Rand eines Bruchs mit Israel geht die türkische Regierung mit diesen Schritten. Seit Jahren präsentiert sich die türkische Regierung als Regionalmacht und damit auch als Schutzpatron der Palästinenser.

Dass die israelische Seeblockade des Gazastreifens im offiziell noch nicht veröffentlichten UN-Bericht angeblich als „rechtmäßig und angemessen“ bezeichnet wird, ist für die türkische Regierung schwer zu schlucken. Die Türkei will den ganzen Fall nun vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überprüfen lassen.

Gleich nach dem israelischen Vorgehen gegen die Hilfsflotte im vergangenen Jahr hatte Gül betont, nun sei „nichts mehr wie zuvor“. Damals prophezeite er: „Israel hat einen Fehler begangen, den es noch bedauern wird. Den Preis dafür werden sie erst in der Zukunft verstehen.“ Aber auch die Türkei wird sich fragen, ob der Beinahe-Bruch der Beziehungen zu Israel nicht auch für sie selbst ein zu hoher Preis ist