Analyse: Araber und westliche Staaten so nah wie selten

Tripolis/Istanbul (dpa) - Bevor der Westen in Libyen eingriff, standen Gaddafis Chancen auf eine Eroberung der Städte, in denen die Rebellen die Kontrolle übernommen hatten, nicht allzu schlecht.

Er hätte dort zwar immer wieder mit kleineren Aufständen rechnen müssen, aber einen skrupellosen Machtmenschen wie Oberst Muammar al-Gaddafi schreckt diese Aussicht nicht ab. Doch jetzt ist alles anders. Die Rebellen klagen zwar immer noch über Angriffe seiner Truppen. Doch jeder außer Gaddafi selbst glaubt nun, dass seine Tage an der Macht gezählt sind. Bestenfalls wird er sich noch eine Weile in Tripolis verschanzen können.

Die Araber und der Westen - das war in den vergangenen zehn Jahren eine schwierige Beziehung voller Misstrauen, Vorurteile und religiöser Empfindlichkeiten. Vor allem die Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak haben dieses Verhältnis belastet. Umso erstaunlicher ist es, dass jetzt ausgerechnet eine weitere westliche Militäroperation die Araber, Amerikaner und Europäer zusammenschweißt. Selten waren sie sich so einig, wie bei der Entscheidung für ein Eingreifen zugunsten der Aufständischen in Libyen.

Zwar gehen die Angriffe der Briten, Franzosen und Amerikaner einigen arabischen Politikern zu weit - sie hatten sich eine begrenztere Aktion gegen die libysche Luftwaffe vorgestellt. Und die ägyptischen Muslimbrüder warnen, Libyen könne zu einem zweiten Irak werden. Doch insgesamt ist die Reaktion der arabischen Welt auf das Eingreifen des Westens in Libyen eher positiv. Denn viele Araber sympathisieren mit den Aufständischen, die nach vier Jahrzehnten unter der Knute von Gaddafi frei sein wollen.

Deutschland, das als einziges europäisches Land nicht für die UN-Resolution gestimmt hat, die Angriffe auf Ziele in Libyen erlaubt, wird sich seinen Platz in der neuen arabischen Welt noch suchen müssen, sobald sich der Pulverdampf über Libyen verzogen hat. „Ich denke, für unseren Ruf hier in der arabischen Welt, war diese Entscheidung ungünstig“, glaubt ein deutscher Diplomat mit langer Erfahrung in Nahost.

Denn in der arabischen Welt ist das, was gestern galt, kein Maßstab mehr für das, was morgen geschehen wird. Die Zeichen stehen überall auf Wandel. Selbst starre Regime wie in Saudi-Arabien oder Syrien können sich dem nicht entziehen.

Gaddafis erste Reaktion auf die geballte Militärmacht, die seine Truppen jetzt ins Visier genommen hat, war so widersprüchlich und wirr wie seine ganze Persönlichkeit. Erst bluffte er und verkündete einen Waffenstillstand. Gleichzeitig schickte er seine Truppen los, um die Rebellenstädte möglichst noch vor Beginn des Einsatzes der Westallianz zu überrennen - das misslang. Vor dem Stützpunkt, in dem er sich mit seiner Familie verschanzt hat, ließ er Hunderte Anhänger aufmarschieren, wobei die Rebellen behaupten, er habe diese Menschen gegen ihren Willen als menschliche Schutzschilde dort platziert.

Dann schwadronierte Gaddafi, der sich immer noch in der Rolle des großen Staatsmannes sieht, der vom Volk geliebt wird: „Ihr (die westliche Allianz) werdet besiegt werden, so wie Hitler, Napoleon und Mussolini besiegt wurden. Alle Tyrannen werden letztlich von ihren Völkern zertreten.“