Analyse: Berlin manövriert zwischen Tripolis und Kabul
Berlin (dpa) - Wenn es im Bundestag um Leben und Tod geht, steht parteitaktisches Geplänkel normalerweise zurück. Am Freitag war das anders. Im Parlament stand zum 14. Mal seit 2001 eine Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr an, der bereits 46 deutsche Soldaten das Leben gekostet hatten.
Die vorgeschaltete Debatte wurde aber von den anstehenden Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen zumindest beeinträchtigt. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf der Regierung vor, den Bundestag vor „kritischen Wahlen“ zu missbrauchen, um nach dem Ausscheren aus dem Libyen-Konflikt ein „Trostpflaster für die Verbündeten“ zu kleben. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wertete Vorwürfe der Opposition, das Parlament werde von der Regierung in wichtige Entscheidungen nicht ausreichend eingebunden, als „Getöse“ vor der Wahl. „Ich kann bei solchen Entscheidungen nicht auf den Wahlsonntag warten, wenn international in unserer Nachbarschaft Entscheidungen zu treffen sind.“
In nur 48 Stunden hat die Bundesregierung den Awacs-Einsatz in Afghanistan durch den Bundestag gepeitscht, obwohl schon seit zwei Jahren darüber diskutiert wird. Dass er sinnvoll ist, dafür gibt es im Bundestag einen relativ breiten Konsens. Dass die Entscheidung jetzt fällt, hat aber sehr viel mit Taktik zu tun.
2009 wurde der Einsatz schon einmal beschlossen, kam aber wegen fehlender Überflugrechte über Aserbeidschan und Turkmenistan nicht zustande. Beim zweiten Anlauf der Nato im Januar verweigerte die Bundesregierung zunächst ihre Beteiligung. Schwarz-Gelb wollte bei der damaligen Mandatierung des Gesamteinsatzes in Afghanistan das Signal setzen, dass bald der Abzug beginnt. Eine - wenn auch nur vorübergehende Ausweitung - passte nicht dazu.
Die plötzliche Eile wurde jetzt durch den Libyen-Einsatz verursacht. Und die Haltung der Bundesregierung dazu stellt sich zunehmend verworren dar. Im UN-Sicherheitsrat hat die Bundesregierung sich bei der Abstimmung über die Flugverbotszone enthalten, in der Nato trägt sie die militärische Durchsetzung mit, ohne sich aktiv daran zu beteiligen. Sanktionen gegen Libyen treibt Deutschland voran, hält sich aber aus der Umsetzung des Waffenembargos - einer der wichtigsten Sanktionen - ebenfalls heraus.
Auch innerhalb der Bundesregierung werden Differenzen sichtbar. Während Westerwelle jegliches militärisches Engagement immer wieder ausschließt, kommen aus dem Verteidigungsministerium andere Signale. „Wir machen keine Türen zu, sondern behalten die uns auf“, sagte der Sprecher von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag zur Frage eines möglichen Waffenembargo-Einsatzes der Bundeswehr.
Für eine solche Mission wäre ein Bundestagsmandat notwendig. Die Grünen sind bisher die einzigen, die sich offen dafür aussprechen. Aber auch in der Koalition und in der SPD gibt es viele Sympathien dafür. Nur offen aussprechen will das keiner - weil am Sonntag die Wahlen anstehen.
Drei der vier deutschen Schiffe, die am Dienstagabend wegen des Libyen-Konflikts aus den Nato-Verbänden abgezogen wurden, sind immer noch im Mittelmeer. Die Fregatte „Lübeck“ ein Aufklärungsboot und ein Minenjagdboot liegen in italienischen Häfen und warten auf weitere Order. Möglicherweise werden sie nächste Woche zunächst in den Anti-Terror-Einsatz „Active Endeavour“ zurückkehren - dann aber östlich von Kreta, 280 Kilometer entfernt vom Einsatzgebiet des Libyen-Verbandes der Nato.
Nach der Wahl wird aber die Diskussion an Fahrt gewinnen, ob sie irgendwann doch noch Kurs auf Libyen nehmen. Die deutsche Marine könnte in einem solchen Einsatz auf viel Erfahrung bauen. Im Rahmen von Einsätzen gegen Terrorismus und Piraterie kontrolliert sie bereits seit fast zehn Jahren Seewege im Mittelmeer und Pazifik. Auch beim Libanon-Einsatz im östlichen Mittelmeer geht es darum, Waffenschmuggel zu verhindern.