Analyse: Berliner Drohkulisse für die Neuwahl in Griechenland
Berlin/Athen (dpa) - Die Diskussion über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone ist so alt wie die Krise in dem südeuropäischen Land. Auch Sympathiebekundungen aus der Bundesregierung für eine solche Option sind nichts Neues.
Schon 2012 konstatierte der damalige FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler: „Für mich hat ein Austritt Griechenlands längst seinen Schrecken verloren.“
Ähnliche öffentliche Äußerungen gab es später immer wieder auch von Unions-Politikern - aber nie von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das wird sich auch vor den Neuwahlen am 25. Januar nicht ändern. Öffentlich werden weder die CDU-Chefin noch Finanzminister Wolfgang Schäuble über einen Euro-Ausstieg Griechenlands - auch „Grexit“ genannt - spekulieren.
Inzwischen scheinen aber beide bereit, ein solches Szenario notfalls zu akzeptieren, falls eine von einem Linksbündnis geführte Regierung in Griechenland den von ihnen geprägten Sparkurs kippt. Ein entsprechender „Spiegel“-Bericht wurde am Wochenende weder vom Kanzleramt noch vom Finanzministerium dementiert. Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter trat nur der Interpretation entgegen, es handele sich um einen Kurswechsel - aber auch das erst 24 Stunden nach der ersten Meldung.
Wer Spekulationen über ein solch heikles Thema aufhalten will, agiert anders. Die Bundesregierung scheint sich an der öffentlichen Diskussion also zumindest nicht zu stören - oder sie als Warnsignal Richtung Athen sogar zu wollen.
Verglichen mit der Situation vor zwei Jahren, als Rösler mit seiner Äußerung noch für einen Aufschrei sorgte, sind die Bedingungen für einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro heute andere. Die Eurozone hat sich stabilisiert. Der Europäische Stabilitäts-Mechanismus (ESM) kann Staaten im Notfall mit bis zu 500 Milliarden Euro beispringen. Und neben Griechenland gibt es heute keine weiteren Sorgenkinder mehr, auf die die Krise überspringen könnte.
Trotzdem ist die Diskussion über „Grexit“ riskant. In Griechenland ist die Nervosität schon jetzt groß, die Leute haben Angst um ihr Geld. Bereits im Dezember haben die Griechen 2,5 Milliarden Euro von den Banken abgehoben - 500 Millionen mehr als im gleichen Monat des Vorjahres. „Nun fällt auch das Wort „Grexit“. Das könnte Panik auslösen“, sagt der Prokurist Nikos Wrousis.
Auch die Banken sind alarmiert. „Wir sorgen dafür, dass unsere Geldautomaten gut bestückt sind“, sagt ein Direktor einer Bank in Athen. Schon ein paar defekte oder leere Geldautomaten könnten einen sogenannten „Bank-Run“, einen Ansturm auf die Banken, auslösen.
Der mit harten Bandagen geführte Wahlkampf zwischen dem konservativen Regierungschef Antonis Samaras und dem Chef der linken Oppositionspartei Syriza, Alexis Tsipras, vergrößert die Unsicherheit. Tsipras liegt in den Umfragen vorne. Er sieht in „Grexit“ ein Schreckgespenst seiner Gegner zur Wählerverunsicherung. Samaras wirft Tsipras vor, eine Rückkehr zur alten Währung, der Drachme, provozieren zu wollen.
Dass sich jetzt auch noch die Deutschen wieder einmal einzumischen scheinen, könnte zumindest bei einem großen Teil der Griechen zu einer Trotzreaktion führen. Mehr als die Hälfte von ihnen leidet schwer unter dem Sparkurs. Jeder Vierte ist ohne Job. Ganze Familien leben von der Rente der Oma. Ärzte und andere hochqualifizierte Menschen wandern aus.
„Mit dem „Grexit“ kann man nur einem Teil der Wählerschaft drohen“, sagt Giorgos Tagaris, ein Arzt aus der Hafenstadt Patras. Die anderen stecken tief im Treibsand der Armut. An diesen Menschen gingen die Warnungen vorbei.
Die Diskussion ist für Merkel aber auch innenpolitisch nicht ohne Risiko. Der erste Applaus dafür kam erwartungsgemäß ausgerechnet von der AfD, die sich in ihrer eurokritischen Politik bestätigt fühlt. „Ich begrüße die späte Einsicht von Frau Merkel und Schäuble, dass ein Austritt Griechenlands aus dem Euro verkraftbar wäre“, sagte der Vorsitzende der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD), Bernd Lucke.