Analyse: BGH-Urteil lässt Fragen offen
Karlsruhe (dpa) - Ein verstoßener Sohn muss für seinen Vater Unterhalt zahlen. So hat es der BGH entschieden. Experten erwarten in Zukunft ähnliche Streitfälle vor Gericht.
Der Beamte ist immer noch schockiert von dem Verhalten seines Vaters. Der hatte vor über 40 Jahren rüde jeden Kontakt zu seinem Sohn abgebrochen. Obwohl er bis heute die Gründe dafür nicht kennt, muss der Sohn nun 9000 Euro für den Aufenthalt seines mittlerweile gestorbenen Vaters in einem Pflegeheim zahlen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch entschieden.
Der Grund: Der Vater hatte sich erst von dem Sohn abgewandt, als dieser 18 Jahre alt war. Damit hat er nach BGH-Ansicht seine Pflicht im Wesentlichen erfüllt. „Der BGH hat verkannt, was es für einen Menschen bedeutet, wenn der Vater sich von ihm abwendet“, sagt der Oldenburger Rechtsanwalt des Beamten, Michael Klatt. „Auch für einen Erwachsenen wie meinen Mandanten ist das eine hohe emotionale Belastung, die an psychischer Gewalt grenzt.“
Das Schicksal des Mannes bewegt zwar die Gemüter. Doch abseits der menschlichen Dimension des Falles spielt Elternunterhalt bei den Gerichten derzeit eine eher untergeordnete Rolle. Zumeist beschäftigen sich die Familienrichter mit den Folgen von Trennung und Scheidung, etwa mit Fragen nach dem zu zahlenden Unterhalt, dem Sorgerecht für die Kinder oder dem Rentenausgleich.
Streitigkeiten über Elternunterhalt werden in der Regel still erledigt. „80 Prozent der Fälle werden außergerichtlich abgeschlossen“, sagt Klatt. Die meisten Menschen wollten ja zahlen. Sie schämten sich, dass sie überhaupt einen Anwalt um Rat fragten. „Sie machen sich nur Sorgen, wie viel sie zahlen müssen, ob sie sich dann noch etwas leisten können wie etwa einen Urlaub.“ Die meisten Kinder stünden zu ihrer Unterhaltspflicht, wenn diese mit Augenmaß für die wirtschaftlichen Verhältnisse bemessen worden sei, sagt auch der Duisburger Rechtsanwalt Jörn Hauß.
Die Kommunen sind kompromissbereit, auch wenn sie viel Geld für die Pflege alter Menschen ausgeben. Deren schmale Rente reicht - wie im jetzt verhandelten Fall - für das Heim oft nicht aus. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz zahlen die Kommunen jährlich 3,2 Milliarden Euro für die Pflege. 64 Millionen Euro und damit 1,74 Prozent der gesamten Kosten zahlen demnach die Angehörigen.
Doch die Fälle strittigen Elternunterhalts könnten sich in nicht all zu ferner Zukunft doch noch bei den Gerichten häufen: „Die Generation der Scheidungskinder wird langsam erwachsen, ihre Eltern, zu denen teilweise aufgrund der Scheidung ein schwieriges Verhältnis besteht, altern“, sagt Birgit Niepmann vom Deutschen Familiengerichtstag. Viele könnten sich der Unterhaltspflicht mit dem Argument zu entziehen versuchen, das Verhältnis zu den Eltern sei zerrüttet.
Auch nach dem BGH-Urteil ist größtenteils unklar, wie es mit dem Elternunterhalt aussieht, wenn Vater oder Mutter den Kontakt zu einem minderjährigen Kind abgebrochen haben. Denn bisher gab der BGH 2004 nur einer Frau recht, die keinen Unterhalt zahlen wollte: Sie war als Einjährige von ihrer Mutter verlassen worden.