Analyse: Briten und ihre Angst vor hausgemachten Terror
London (dpa) - Wer Großbritannien einen Überwachungsstaat nennt, mag ein wenig boshaft sein. Ganz falsch liegt er nicht. Mehr als 1,8 Millionen Kameras überwachen das tägliche Leben der gut 60 Millionen Menschen auf der Insel auf Schritt und Tritt.
Der Geheimdienst GCHQ arbeitet aufs Engste mit seinem Schwester-Dienst NSA in den USA zusammen. Die Terrorgesetzgebung erlaubt der Regierung große Eingriffe im Dienste der Sicherheit.
Doch so tiefgreifend der Staat auch in die Freiheit des Einzelnen eingreift: Das wohl größte Sicherheitsrisiko haben die Briten bisher nicht so recht in den Griff bekommen: „Home Grown Terrorism“, Extremisten, die in Großbritannien geboren wurden und aufgewachsen sind und - meist von London aus - in den Kampf ziehen.
Die barbarische Enthauptung des US-Journalisten James Foley hat das in der britischen Politik seit langem bekannte und wiederholt diskutierte Dilemma in der vergangenen Woche offenbar gemacht. Weder konnten Sicherheitskräfte die Tat verhindern, noch haben sie bei der fieberhaften Suche nach dem Täter, der sich vermutlich irgendwo im Krisengebiet versteckt, besonders gute Karten.
Wie kaum ein zweites Land fürchtet sich Großbritannien vor der hausgemachten Gefahr. Londons Bürgermeister Boris Johnson will jetzt mit noch härterer Hand durchgreifen. Wer ohne ersichtlichen Grund nach Syrien oder in den Irak reist, soll als Terrorist gelten - es sei denn, er kann das Gegenteil beweisen. Der Staat soll ihm die Staatsbürgerschaft entziehen. „Das Schlimmste ist es, nichts zu tun“, schreibt Johnson am Montag im „Daily Telegraph“angesichts der Bedrohung vor allem seitens der Terrorkämpfer des Islamischen Staates (IS).
Trotz schwerer rechtlicher Bedenken erntet Johnson Beifall, etwa beim rechten Flügel von Premierminister David Camerons Konservativen. Der Parlamentarier David Davies machte einen ähnlichen Vorschlag - die islamistischen Kämpfer könnten sich ja dann einen IS-Pass besorgen, sagte er.
Die Regierung erscheint noch deutlich besonnener. „Ich glaube nicht, dass dieses Video irgendetwas geändert hat“, sagte Außenminister Philip Hammond schon vor Tagen der BBC. Es erhöhe nur das Bewusstsein für ein Problem, an dem die Regierung seit Monaten arbeite. Bereits ohne gesetzliche Änderungen könnten die Behörden scharfen Zwang ausüben. Dazu gehöre im Zweifelsfall auch der Entzug von Pässen und gegebenenfalls die Festnahme bei der Rückkehr.
Großbritannien ist als Einwanderungsland und aufgrund seines Staatsbürgerschaftsrechtes - wer in Großbritannien geboren wird, erhält in der Regel einen britischen Pass - anfällig für die Gefahr islamistischen Terrors im eigenen Land. 2005 hatten Terroristen bei Anschlägen auf die Londoner U-Bahn und auf Busse 52 Unschuldige in den Tod gerissen - auch diese Täter waren Briten. Seitdem gibt es auf britischen Bahnhöfen keine Gepäckschließfächer mehr.
Am Finsbury Park im Norden Londons steht eine Moschee, in der Hassprediger Abu Hamsa einst fast ungestört zum Heiligen Krieg aufrufen konnte. 1994 hatte Prinz Charles die Moschee feierlich als Zeichen der Völkerverständigung eröffnet. Wenige Jahre später galt der Ort des Glaubens als Hort des Terrors, der geistige Nährboden für Extremisten.
Das Innenministerium in London geht davon aus, dass rund 500 Kämpfer für den Heiligen Krieg mit britischem Pass derzeit in Gegenden wie Syrien oder im Irak unterwegs sind. Sie könnten zurückkommen und ihren Kampf zu Hause weiterführen. Oder auch neue Kämpfer anheuern.
Der derzeit nach Zeitungsberichten Hauptverdächtige für die Enthauptung von James Foley soll der Sohn eines Ägypters sein, der als Gefolgsmann Osama bin Laden gegolten habe und 2012 wegen Verbindungen zu Bombenanschlägen in Ostafrika ausgewiesen wurde. Der Sohn, im gutbürgerlichen Londoner Stadtteil Maida Vale großgeworden, blieb und wurde DJ - so erfolgreich, dass seine Musik in der BBC gespielt wurde.