Analyse: Cameron versucht es mit harter Hand

London (dpa) - David Cameron wirkt fast wie ein Offizier, auch ohne Uniform. Mit strengem Blick und entschlossener Stimme verkündet er, wie er dem Problem der Randale in Großbritannien Herr werden will: Mit einer Politik der harten - der ganz harten Hand.

„Wir mussten zurückschlagen, und damit haben wir begonnen“, sagt er am Mittwoch, und klingt wie ein Feldherr. „Wir werden eine Kultur der Angst auf unseren Straßen nicht zulassen.“ Starke Worte. Großbritanniens Regierungschef sendet damit seinen Landsleuten am Tag fünf nach Ausbruch des Straßenterrors ein Signal: „Wir, das gute Großbritannien, haben das unter Kontrolle.“ Den Erfolg seiner Strategie braucht er dringend. Nichts erwarten die Briten von ihrer Regierung mehr, als die Garantie für die Sicherheit in der eigenen Stadt, in der eigenen Wohnung. Cameron ist gefordert.

Die Labour-Opposition wird ihm das am Donnerstag noch einmal sehr deutlich hinter die Ohren schreiben. Dann kommen die Parlamentarier eigens aus der Sommerpause zurück, um den für viele unerwarteten Ausbruch der Gewalt in London und vielen anderen britischen Großstädten eingehend zu debattieren. Zu einer Abrechnung wird es diesmal wohl nicht kommen. In der Krise, so will es die Tradition, steht man in Großbritannien zusammen.

Es sind die Parlamentsferien, die schon wegen einer anderen Affäre abgekürzt werden mussten: Cameron stand wegen seiner Nähe zum umstrittenen Medienmogul Rupert Murdoch und dessen Imperium am Pranger - und ist immer noch in der Defensive. Inflation von bis zu fünf Prozent, hohe Staatsschulden von weit über einer Billion Pfund (1,15 Billionen Euro), ein Haushaltsdefizit von zehn Prozent, Studentenproteste, Dauerkrach mit dem liberaldemokratischen Koalitionspartner, fragwürdiger Libyen-Einsatz - die Liste der Probleme des Mannes, der in Großbritannien den Traum von einer „Big Society“ träumt, ist lang.

Die Lösungen sind schwierig, besonders beim Thema Jugendgewalt. Wer in die oberen Stockwerke eines der hässlichen Wohnsilos am St.-Thomas-Square im Londoner Osten steigt, kann die glitzernden Bürotürme der Finanz-City und des noblen Bankenviertels Canary Wharf scheinbar greifen. Extrem nah sitzen bettelarm und superreich in London aufeinander, so nah wie vermutlich nirgends sonst in Europa. Für viele Sozialwissenschaftler sind das die Hauptzutaten für die gefährliche Mixtur, die seit Jahrzehnten köchelt und zum zweiten Mal seit den Aufständen von 1985 explodierte.

Wer aus dem Wohnsilo auf die andere Seite blickt, sieht den alten Baumbestand im London-Fields-Park. In den 1980er Jahren war das eine No-Go-Area für alle, denen ihr Leben lieb war. Heute ist es ein Szene-Treff - ein Indiz für den Fortschritt im Viertel. Unter den Bäumen hat sich das Ann Taylor Children Center angesiedelt. Dort können Eltern ihre Kinder tagsüber kostenlos betreuen lassen, sogar Essen gibt es umsonst. Die Eltern können währenddessen Videos gucken oder im Internet surfen, während die Kinder pädagogisch wertvolle Zeit genießen.

Im Kinderzentrum kann das Personal von Bengalisch bis Serbokroatisch eine Vielzahl von Fremdsprachen. Es ist einer der vielen Versuche, mit denen in London in den vergangenen Jahren das Problem kaputter Familien und verloren gegangener Werte angegangen wurde. Einen Königsweg hat noch keiner gefunden.

„Wie man den treibenden Kräften und den komplexen Problemen hinter den Mustern für Jugendgewalt am besten begegnet, ist weit davon entfernt, unumstritten zu sein“, sagt Gus John, Buchautor, Professor an der London University und selbst Einwanderer aus der Karibik.

Politiker, Polizei und sogar viele Sozialwissenschaftler sind sich in ihrer Bewertung einig: Bei den Gewalttaten handelt es sich nicht um eine Reaktion auf Sozialkürzungen. „Es ist pure, simple Kriminalität“, sagt Premier Cameron und erntet Kopfnicken von allen Seiten. Auch Professor John gibt ihm im Prinzip Recht, sagt aber auch: „Diese Erkenntnis löst kein Problem.“

Für den Wissenschaftler ist Camerons harte Hand gerade der falsche Ansatz. „Zu viel Bestrafung, zu viel Polizeigewalt, viel zu wenig Prävention“, diagnostiziert er beim bisherigen Maßnahmenbündel. „Es gibt sehr deutliche Hinweise darauf, dass Gangkriminalität im Zusammenhang mit Familie und Wohnumfeld steht“, sagt der Sozialforscher und Buchautor. Dort müsse künftig stärker angesetzt werden.

Eine Generalentschuldigung will er für die jugendlichen Straftäter der vergangenen Tagen jedoch nicht durchgehen lassen. „Erfahrungen und Umstände auf der bisherigen Reise des Lebens haben beeinflusst, wer wir sind. Was aus uns wird, dafür sind wir selbst verantwortlich.“