Analyse: China als Vermittler im Gaza-Konflikt
Peking (dpa) - Seit Jahrzehnten bemühen sich Vermittler vergeblich um eine Lösung im Nahost-Konflikt. Nun mischt sich China stärker ein. Der erfahrene Diplomat Wu Sike ist Pekings Sondervermittler für die Region.
„Die Herausforderungen sind gewaltig“, sagt Wu am Montag im Außenministerium in Peking. Zuvor war er in die Palästinensischen Autonomiegebiete sowie nach Israel, Saudi Arabien, Jordanien, Ägypten und Katar gereist. „Wir sind für alles offen“, erklärt Wu. Eine Lösung könne es nur mit Beteiligung aller Staaten geben.
Die aufstrebende Macht China will sich in internationalen Konflikten stärker engagieren. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte jüngst bei seiner Südamerikareise betont, dass China seiner Rolle als „verantwortungsvolle Großmacht“ gerecht werden wolle. Seit Xi vor mehr als einem Jahr in das höchste Staatsamt aufgestiegen ist, versucht er schrittweise das außenpolitische Profil Pekings zu schärfen.
Der einflussreiche Politikprofessor Jin Canrong von der Volksuniversität in Peking sieht darin eine langfristige Strategie. „Xi Jinping ist ein progressiver Staatsführer, der bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen“, sagt Jin der Nachrichtenagentur dpa in Peking. Das strategische Interesse von Peking an Nahost nehme deutlich zu.
Vergangenes Jahr ist China zur größten Handelsnation der Welt aufgestiegen. Die wachsende ökonomische Größe zieht immer mehr Verpflichtungen nach sich. „Wir haben eine sehr enge ökonomische Kooperation mit den Ländern der Region“, räumt Wu Sike ein. Nahost steigt zu einem wichtigen Öllieferanten für Peking auf. „Sehr viele chinesische Unternehmen sind dort aktiv“, sagt Wu. Tausende Chinesen arbeiten in der Region. Für Peking wird es immer schwieriger, ihre Sicherheit zu garantieren.
Auch auf Ebene der Vereinten Nationen versucht sich die Vetomacht China im Gaza-Streit als Vermittler. Nach einer Sondersitzung hat der UN-Sicherheitsrat eine „sofortige und bedingungslose humanitäre Waffenruhe“ gefordert. Kurz zuvor hatte Pekings UN-Repräsentant Liu Jieyi gesagt: „Der Teufelskreis der Gewalt zwischen Israel und Palästina muss aufhören.“ Einen Friedensplan hat Peking nicht vorgelegt. Alle Regierungsstellen rufen allgemein zum Gewaltverzicht und zum Aufbau von gegenseitigem Vertrauen in Nahost auf.
Aber Pekings Vorstoß in Nahost ist selbst in China umstritten. „Die Region ist als das „Grab der Imperien“ bekannt“, warnt Jin Canrong. Bislang habe sich China weitgehend aus dem Konflikt rausgehalten und gleichzeitig seine ökonomischen Interessen vorangetrieben. „Aber wenn man sich stärker engagiert, wird man beide Seiten verärgern“, sagt Jin Canrong.
China gilt als traditioneller Verbündeter Palästinas. Bereits im Jahr 1988 hatte Peking Palästina als Staat anerkannt. Bis heute setzt sich China für die Palästinenser ein. Gleichzeitig pflegt Peking enge Wirtschaftsbeziehungen zu Israel. 1992 hatten beide Seiten diplomatische Kontakte aufgenommen. Bis heute ist Peking zu einem der wichtigsten Handelspartner Israels aufgestiegen.
Das verschafft Peking laut Moritz Rudolf eine besondere Position in den Verhandlungen im Nahen Osten. „Mit China könnte neben den arabischen Staaten, Europa und den USA ein weiterer Vermittler hinzutreten, der im Vergleich zu den anderen Akteuren als ehrlicher Makler wahrgenommen werden kann“, schreibt der wissenschaftliche Mitarbeiter vom Berliner China-Forschungsinstitut Merics.
Aber das Engagement bedeutet einen Bruch mit Chinas etablierter Außenpolitik. Bislang hatten Pekings Außenpolitiker immer das Prinzip hochgehalten, international die Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Länder zu verurteilen. Aber China hatte Russland nicht für sein Vorgehen in der Ukraine kritisiert. Und Chinas Vermittlungsversuche in Gaza könnten das Konzept der Nichteinmischung weiter aufweichen.