Analyse: China duckt sich weg
Peking (dpa) - Russlands Präsident Wladimir Putin treibt die Annexion der Krim mit Macht voran. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten protestieren, aber eine Macht hält sich auffallend zurück: China.
Ministerpräsident Li Keqiang hatte zum Abschluss des Volkskongresses vergangene Woche noch angekündigt: „Als eine verantwortliche Großmacht wird sich China aktiv in das internationale Geschehen einbringen.“ Aber nun stürzt die Situation auf der Schwarzmeer-Halbinsel Pekings neue Ansprüche in eine Krise.
Hinter verschlossenen Türen wird heftig diskutiert. Ein Diplomat erzählt, dass der Umgang mit der Ukraine zur Chefsache erklärt worden ist. „Chinas Führung ist nervös. Die Krise in der Ukraine stellt das hohe Prinzip der Nichteinmischung infrage“, sagt der Diplomat. Das Außenministerium ist nur noch ein Nebendarsteller. Der Staatsrat Yang Jiechi hat die Kontrolle übernommen und stimmt sich mit den obersten Staatschefs ab. Trotzdem gibt es noch keine klare Position. Peking spielt auf Zeit.
Professor Sebastian Heilmann, Direktor des Berliner Mercator Instituts für China-Studien (MERICS), sagt: „Es ist tatsächlich ein Rückschlag, was Chinas neue Rolle als „verantwortliche Großmacht“ im internationalen Krisenmanagement angeht.“ Auf der einen Seite ist die Ukraine für China als Lieferant von Lebensmitteln und Rüstungsgütern wichtig. Auf der anderen Seite ist Moskau ein Verbündeter von Peking.
Das Dilemma könnte zu einer größeren Distanz zwischen China und Russland führen. „Die Krise in der Ukraine hat offengelegt, dass es riskant ist, sich diplomatisch im Kielwasser Russlands zu bewegen“, sagt Heilmann der Nachrichtenagentur dpa in Peking.
Besonders das Referendum auf der Krim bringt China in die Bredouille. Peking schwankt zwischen Nichteinmischung und Rückendeckung für Russland. „Wegen der verfahrenen Situation kann sich China nicht entscheiden, aber die unterschwellige Unterstützung für Russland ist offensichtlich“, sagt der Außenpolitik-Experte Cheng Xiaohe von der Volksuniversität in Peking.
Außenminister Wang Yi hatte vor zwei Wochen auf einer Pressekonferenz die Beziehungen zwischen Peking und Moskau „in der besten Phase ihrer Geschichte“ gesehen. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin hätten eine „tiefe Freundschaft“ entwickelt. Gleichzeitig winden sich die Sprecher des Außenministeriums seit Tagen um eine klare Antwort auf die Frage, wie China zu dem umstrittenen Referendum auf der Krim über eine Abspaltung von der Ukraine steht.
Das Verhältnis zu Russland könnte sich ändern, meint Cheng Xiaohe. „China hat immer gute Beziehungen zur Ukraine gepflegt.“ Russland ist zwar ein Partner, aber noch ist die Ukraine nicht abgeschrieben. Es stehen Wahlen an, und eine neue Administration mit einer neuen Politik könnte auch Pekings Einstellung beeinflussen. „Es ist noch unklar, wie sich die Situation entwickelt. China sollte neutral bleiben“, fordert Politikwissenschaftler Cheng.
Putin verkündet Einigkeit mit China. Aber trotz aller warmen Worte für Moskau wird derzeit in Peking viel über das Verhältnis zu Putin nachgedacht, sagt der Diplomat. Künftig könnte sich China in seiner Außenpolitik stärker von Russland lossagen, glaubt Forscher Cheng.
Allzu große Hoffnung sollten sich Brüssel und Washington jedoch nicht machen. Selbst wenn sich China neu aufstellen sollte, sind keine schnellen Ergebnisse zu erwarten, schätzt Professor Heilmann: „Es wird noch Jahre brauchen, um den Entscheidungshorizont und die außenpolitische Expertise Chinas auf ein Krisenmanagement außerhalb Ostasiens zu erweitern.“