Analyse: China rückt ins Zentrum der neuen Ordnung Asiens
Peking (dpa) - Die Einigkeit beschränkt sich auf die Farbe der traditionellen chinesischen Jacke.
Als sich die Präsidenten der USA und Russlands, Barack Obama und Wladimir Putin, mit den Führern der Pazifik-Anrainer zum „Familienfoto“ in Landestracht aufstellen, haben beide ein tiefes Weinrot gewählt - genau wie Gastgeber Xi Jinping. Andere Staats- und Regierungschef hatten meist Blau oder Grün für ihre Stehkragenjacke ausgesucht. Wer Xi am nächsten steht, ist aber ganz klar Putin. Obama muss vier Plätze weiter am Rand stehen.
Die Stimmung im blauen „Wasserwürfel“, dem Schwimmstadion der Olympischen Spiele 2008 in Peking, ist gleichwohl entspannt, als sich die Führer der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (Apec) zum feierlichen Abendessen in dem High-Tech-Bau hinsetzen. Früher wurde in den olympischen Becken um Medaillen gekämpft. Heute Abend wird hier auch nicht nur gegessen und bunte Folklore geschaut, sondern um die Führungsrolle im Asien-Pazifik-Raum gerungen.
Seit Monaten haben Obama und Putin wegen der Ukraine-Krise und der westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mehr miteinander gesprochen. Angeschlagen von seiner Wahlschlappe daheim wirkt der US-Präsident wie ein Nachzügler. Als die „Airforce One“ in Peking landet, hat Putin längst den Schulterschluss mit Xi geübt. Und Chinas Präsident nutzt schon seit dem Wochenende seine Rolle als Gastgeber des diesjährigen Gipfels für eine beispiellose Initiative.
Er startet eine strategische chinesische Offensive in Asien, die Experten schon mit dem „Marshall-Plan“ der USA zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichen. Neben dem „chinesischen Traum“ will der neue Staats- und Parteichef jetzt auch den „asiatisch-pazifischen Traum“ unter Chinas Führung verwirklichen.
Er verspricht seinen Nachbarn Milliarden für Häfen, Eisenbahnen oder Straßen, um Märkte miteinander zu verbinden. „Mit dem Aufstieg unserer nationalen Stärke hat China die Fähigkeit und den Willen, mehr Gutes für die Asien-Pazifik-Region und die ganze Welt zu tun“, sagt Xi in einer Rede vor Wirtschaftsführern, die ihm zuklatschen.
Wirtschaftskorridore sollen eine „neue Seidenstraße“ schaffen, die nicht nur Asien verbindet, sondern auch bis Europa reicht. Mit den weltgrößten Devisenreserven in Höhe von 3,8 Billionen US-Dollar hat die zweitgrößte Wirtschaftsnation genug Geld. 40 Milliarden fließen in den nötigen „Seidenstraßen-Fonds“, weitere 50 Milliarden in eine Asiatische Infrastruktur-Investment-Bank (AIIB).
„Die Initiativen, die China hier vorangebracht hat, zeigen ein ganz deutliches Interesse der chinesischen Führung, die regionale Ordnung proaktiver und strategischer als bislang zu gestalten“, sagt Mikko Huotari, Experte des China-Instituts Merics in Berlin. „China will Verantwortung übernehmen, wie es der Westen vielfach gefordert hat.“ Es erfolge allerdings zu Bedingungen, die Peking setze.
Trotz der Großzügigkeit verfolge China vor allem eigene Interessen, indem seine Volkswirtschaft stärker mit ausländischen Märkten verknüpft wird. Es gehe um einen „umfassenden Ansatz, die Nachbarstaaten in der Region infrastrukturell, ökonomisch und politisch stärker an China zu binden“, sagt Huotari. Dafür schaffe China auch die neuen Finanzierungsinstrumente.
So dürfte die neue Asien-Infrastruktur-Bank nicht nur der US-dominierten Weltbank, sondern auch der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) Konkurrenz machen, hinter der China vor allem Japan sieht. Schon im Juli gründete China mit den anderen Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien und Südafrika eine Entwicklungsbank mit 100 Milliarden US-Dollar und Sitz in Shanghai.
Geldversprechen sollen Nachbarn überzeugen, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, das Reich der Mitte als Ordnungsmacht zu akzeptieren. Auch bei der Gestaltung der neuen Handelsordnung ergreift China die Initiative, indem es die Apec-Staaten dazu bringt, einen „Fahrplan“ für eine Freihandelszone Asien-Pazifik (FTAAP) zu entwerfen. Die USA, die mit einer kleineren Gruppe eine Transpazifische Partnerschaft (TPP) schmieden, stecken in der Defensive, verlieren an Einfluss.
Ob Xis großer Plan am Ende aufgehen wird, bleibt abzuwarten. „Es ist erkennbar, dass China jetzt stärker agiert, aber es gibt Widerstände aus anderen Ländern wie Japan oder Indien“, sagt der Politologe Zhang Ming von der Volksuniversität in Peking, der sich nur vorsichtig äußert. „Es ist schwierig, eine Führungsrolle aufzubauen.“