Analyse: Das CDU-Programm heißt Merkel
Hannover (dpa) - Für eine Sekunde bleibt den Delegierten die Luft weg. Erstens gewährt die Parteichefin gerade einen seltenen Einblick in ihre Gefühlswelt und zweitens feuert sie eine volle Breitseite auf den Koalitionspartner FDP ab.
„Auch mir hat eine Satiresendung schon einmal richtig aus der Seele gesprochen: Gott hat die FDP vielleicht nur erschaffen, um uns zu prüfen“, sagt Angela Merkel am Dienstag amüsiert in ihrer ansonsten von manchen mehr staatstragend als mitreißend empfundenen Rede auf dem Bundesparteitag in Hannover.
Doch dann nennt sie die FDP wieder den einzig wahren Partner für die Union. Nur: „Unser Koalitionspartner muss noch zulegen, dass wir das auch schaffen.“ Damit hat Merkel geliefert. Obwohl die Kanzlerin trotz aller Miseren sich wohl schon tausendmal zu Schwarz-Gelb bekannt hat, tut sie dies auch heute noch einmal vor den rund 1000 Delegierten. FDP-Spitzen hatten dies eingefordert.
Ob es etwas nützt, können Union und FDP bei der Landtagswahl am 20. Januar in Niedersachsen testen. Denn auch hier steht unter Ministerpräsident David McAllister eine schwarz-gelbe Koalition zur Wahl. Scheitert die FDP wie in Umfragen vorhergesagt an der Fünf- Prozent-Hürde, ist die Koalition im Bund geschwächt.
In Hannover wollen die rund 1000 CDU-Delegierten buchstäblich von der ersten Minute des Parteitags an keinen Zweifel aufkommen lassen, dass dieser Kongress ein gelungener Start in das Wahljahr 2013 sei. Ohne großen Streit oder Misstöne und schon gar nicht mit einem Dämpfer für Merkel, die zum siebten Mal zur Vorsitzenden gewählt werden sollte. Um 10.32 Uhr eröffnet sie diesen 25. Bundesparteitag und erntete schon für ihre bloße Begrüßung großen Applaus.
In ihrer einstündigen Rede streift Merkel bis auf das heikle Thema steuerliche Gleichstellung von homosexuellen Paaren fast alle aktuellen politischen Schwerpunkte. Neuigkeiten verkündet sie keine und sie überrascht auch nicht mit neuen Standpunkten. Erneut warnt sie davor, sich zu früh über Erfolge bei der Euro-Rettung zu freuen. Sie beschwört gleiche Bildungschancen für alle Kinder, unabhängig ihrer Herkunft. Sie beschreibt Gefahren für Deutschlands Wirtschaft und Werte durch die aufstrebenden Mächte China und Indien.
Mantramäßig wiederholt sie ihre provozierende Äußerung aus ihrer kürzlichen Regierungserklärung: „Unsere christlich-liberale Bundesregierung ist die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung.“ Sie führt dafür Zahlen zur Arbeitslosigkeit, zum Wirtschaftswachstum und zur Energiewende an. Doch der Beifall ist verhalten. Vielen Delegierten ist nicht wohl dabei, die Regierung von Helmut Kohl und Dietrich Genscher als schlechter zu bewerten.
Lebendig wird Merkels Rede, als sie die schlechten Quoten von Frauen in Führungsgremium beklagt. Ihre Geduld sei am Ende, ruft sie. Doch sie wagt nicht den Schritt ihrer Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die eine gesetzliche 30-Prozent-Quote fordert. Trotz aller Mängel und Enttäuschung bevorzugt Merkel wie Familienministerin Kristina Schröder, dass sich die Unternehmen freiwillig zu einer von ihnen festzulegenden Quote verpflichten.
Den für die CDU so gefährlichen Streit um bessere Renten für ältere Mütter entschärft Merkel, indem sie ein kleines Zugeständnis zur besseren Anerkennung von Erziehungszeiten machte. Auch das kostet vermutlich Hunderte von Millionen Euro. Doch ein Wahlkampf gegen Mütter in Deutschland hätte die CDU wohl zerrissen.
In der Aussprache über ihre Rede wird Merkel überraschend scharf kritisiert. Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Georg Milbradt wirft ihr vor, keinen Plan B für die Griechenland-Rettung zu haben. Seiner Ansicht nach kann man dem in Not geratenen Staat Geld nur schenken. Alles andere sei unrealistisch. Außerdem habe das C in der CDU an Wert verloren. Anderen Delegierten greifen die Maßnahmen zur Finanzmarktregulierung zu kurz. Merkel ist während der Aussprache nicht auf dem Podium. Erst zum Schluss sitzt sie wieder oben.
Das Verhältnis zwischen den Christdemokraten und ihrer aus der DDR stammenden protestantischen Vorsitzenden war nie warmherzig. Aber obwohl die 58-Jährige mit ihrer Vita und ihrem Streben weit in die politische Mitte grundsätzlich gar nicht richtig zur katholisch und konservativ geprägten CDU zu passen scheint, ist sie inzwischen in der großen Volkspartei unangefochten. Alle guten Umfragewerte gehen auf Merkel zurück. Für ihre Rede bekommt sie mit knapp acht Minuten so viel Beifall wie wohl nie zuvor bei einem Parteitag. Die CDU im Jahr 2012 heißt Merkel.