Regierungserklärung: Bei Merkels Rede gibt es keine Union mehr
Energischer Auftritt der Kanzlerin im Bundestag — Seehofer fehlt bei der Debatte über die Flüchtlingspolitik.
Wo ist Horst Seehofer? Am Vorabend war er noch in der TV-Sendung „Maischberger“, doch nun, da es im Bundestag um sein Thema geht, fehlt der CSU-Chef. „Der Innenminister arbeitet im Haus und hat Termine“, lässt seine Sprecherin wissen. Er verpasst eine Kanzlerin, die offenbar nicht nachgeben will. Auch ihm nicht.
Angela Merkels (CDU) Gestik spricht Bände. Ganz am Ende ihrer Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel ballt sie die rechte Faust. „Europa hat viele Herausforderungen“, sagt sie und schiebt ihr Manuskript zusammen. „Aber die mit der Migration könnte zu einer Schicksalsfrage werden.“ Merkel fährt den Zeigefinger raus und wird nun grundsätzlich: „Entweder wir bewältigen das, und zwar so, dass man auch in Afrika und anderswo glaubt, dass uns Werte leiten und dass wir auf Multilateralismus und nicht auf Unilateralismus setzen. Oder aber niemand wird mehr an unser Wertesystem glauben, das uns so stark gemacht hat.“ Dann tritt sie ab. Sie trägt einen grünen Blazer. Grün ist die Hoffnung.
Beifall bei der ganzen CDU und bei der SPD. Aber bei keinem Abgeordneten der CSU. In diesem Moment ist die Fraktionsgemeinschaft der beiden Schwesterparteien auch nach außen sichtbar zerbrochen. Ob das so bleibt, wird sich am Sonntag entscheiden, wenn die Parteigremien in München und Berlin zu getrennten Sitzungen zusammenkommen, um auszuwerten, was Merkel in Brüssel erreicht hat. Möglich, dass es ihre letzte Regierungserklärung als Kanzlerin war.
Die Züge fahren weiter aufeinander zu. Markus Söder, Bayerns neuer Ministerpräsident, hat erst vorletzte Woche gesagt, dass die Zeit des geordneten Multilateralismus vorbei sei. Das ist genau das Gegenteil von Merkels Position. Und im Bundestag wiederholt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt diesen Standpunkt im Grunde: „Europäische Lösungen und nationale Maßnahmen gehören zusammen“, erklärt er mit recht ruhiger Stimme. „Wir bleiben dabei, dass wir jetzt auch die Anwendung des geltenden Rechts an unseren Grenzen umsetzen müssen.“ Es ist die Ankündigung, dass Horst Seehofer ab nächster Woche Zurückweisungen von Flüchtlingen an den Grenzen anordnen wird. Die Kanzlerin betont im Bundestag hingegen, dass solche Zurückweisungen „nicht unabgestimmt, sondern im Gespräch mit unseren Partnern“ vorgenommen werden dürften. Sie könnte Seehofer entlassen, falls er eigenmächtig handelt.
Fast schon flehentlich versucht Merkel den Abgeordneten deutlich zu machen, dass man doch schon sehr weit gekommen sei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Fünf von sieben Punkten des europäischen Migrationskonzeptes seien Konsens, und auch beim Gipfel werde es weitere Fortschritte gebe. Die Flüchtlingszahlen in der Ägäis seien seit 2015 um 97 Prozent, im Mittelmeer um 77 Prozent gesunken. Immer wieder gibt es Zwischenrufe von der AfD, auf die die Kanzlerin kaum reagiert. „Mein Gott“, sagt sie einmal spöttisch. Ihre Ansprache richtet sich an die eigenen Leute, vor allem an die CSU. Für die ist wohl auch jene Passage gedacht, in der sie den Mordfall Susanna und andere Asylskandale aufgreift. „Das sind Zustände, mit denen wir uns nicht abfinden können“, ruft Merkel aus und ergänzt: „Der Bundesinnenminister hat die Punkte, wo es Handlungsbedarf gibt, richtigerweise zusammengestellt.“ Sie meint Seehofers „Masterplan Migration“, den freilich im Parlament keiner kennt.
Seehofer hört das Lob nicht, alles Werben ist vergeblich. Die CSUler im Saal bleiben stumm wie Fische. Sie ernten dafür eine geballte Ladung Häme und Wut von der Opposition. „Sie wollen Merkel weghaben“, ruft die Grüne Katrin Göring-Eckardt direkt in Richtung Dobrindt, als sei sie die Schutzpatronin der Kanzlerin. Und dann hört man von ihr noch erzieherische Sätze wie „Schreiben Sie sich das hinter die Ohren“ und „Besinnen Sie sich“. Sahra Wagenknecht von den Linken fragt die Christsozialen: „Nehmen sie überhaupt noch war, dass es eine Welt außerhalb von Bayern gibt?“ und FDP-Mann Christian Lindner zieht den Vergleich mit dem Brexit. „Aus höchsten Staatsämtern heraus die Stimmung anheizen, das ist die Methode (des früherem britischen Premiers) Cameron.“ Der wollte bekanntlich nicht, dass es so ausgeht, wie es ausgegangen ist. Aber was will Seehofer?